Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (154-10915)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Wien

04. 10. 1918

language Deutsch

Schlagwörter: Jaberg, Karl Meyer-Lübke, Wilhelm Schuchardt, Hugo (1918) Spitzer, Leo (1918) Spitzer, Leo (1918)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (154-10915). Wien, 04. 10. 1918. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1756, abgerufen am 03. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1756.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Wien, 4. X.

Verehrter Herr Hofrat,

Die Besprechung läßt sich Pro-/Anti-Anti-Chamberlain benennen. Sie haben mit allen Ausstellungen recht, wie ich glaube. Das Bild meiner Persönlichkeit ist, glaube ich, ebenfalls der Wirklichkeit entsprechend geraten: das Unausgeglichene in mir, der Kampf zwischen dem Drang, die Dinge zu meistern, und in sie hineinzuhören, die kritische Begabung, die mehr herumfuchtelt als einen einheitlichen Standpunkt wählt, die Belesenheit, die das individuelle Denken knebelt – all das ist sehr richtig beobachtet. Vielleicht fehlt nur ein Zug: die Betonung des Enthusiasmus, der eine wesentliche Triebfeder meiner Arbeit ist. (Daß feig auch der Onomatopöisierung fähig ist, möchte ich Ihnen entgegenhalten, allerdings nicht in dem g , sondern in dem f , dem ei Bonätsch [vgl. übrigens zufällig Sp. 290 derselben Nummer] läßt sich als Ausdruck einer Fremdsprache nicht mit boche parallelisieren!)

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Daß ich Individualist malgré moi bin, weiß ich: ist das aber nicht das (tragische) Los jedes Wissenschaftlers, der von den Kunsttempeln kommt und ein Kästchenwerk voll "Spezialpapieren" in der Wissenschaft findet? Er wettert bald gegen die Rubriken bald braucht er sie, um nicht uferlos zu treiben. Wir sind es alle, Militaristen wider Willen – wie jetzt im Krieg soviele, die es nicht sein wollen, es sein müssen!

Ich glaube, daß Ihre Besprechung mir jedenfalls sehr nützen wird – und auch hiefür meinen innigsten Dank. Darf ich nun noch ein gewidmetes Exemplar erbitten? Ferner darf ich mit der Anzeige der Liebeswörter und der Anti-Völkischen Schrift rechnen? Oder sind Sie von der berberischen Expedition mit noch weiteren Trophäen zurückgekehrt, die der Ordnung bedürfen? In jedem Falle freue ich mich, Ihre Riesenkraft sich an meinen kleinen Dingelchen betätigen zu sehen – Jaberg gebrauchte auf meinen cocotte-Aufsatz den Vergleich: M-L.: Spitzer = Bernardiner: Windspiel. Wie müßte sich nun die Proportion: Schuchardt:Sp. = X : Windspiel lösen?

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Vor allem wäre mir lieb, wenn Sie in ein paar Schlagworten brieflich Ihre Stellung zur Fremdwörterschrift kennzeichneten. Ich bin nämlich über Ihre Auffassung nicht unterrichtet. Auch in dieser Abh. lassen sich Widersprüche entdecken: sie erklären sich aus dem im Schreiben sich verändernden Kampfziel (wie beim A.-Ch.): man glaubt zuerst bloß den Chauvinismus zu erlegen – und siehe da, plötzlich schiebt sich die Unwissenschaftlichkeit vor – und plötzlich, der gefährlichste Gegner, die "Wissenschaft". ... Mirages scientifiques....

Mit den ergebensten Grüßen und der Bitte, Ihren "lärjungen"1 nicht zu vergessen, Ihr dankbarer und dankender
Leo Spitzer

Haben Sie die IR. und die Catalanica2 erhalten?


1 Spitzer referiert auf Schuchardts Besprechung seines Anti-Chamberlain, wo der Ausdruck auf S.287 fällt.

2 Leo Spitzer, Katalanische Etymologien. Hamburg: Meissner 1918.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10915)