Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (103-10864)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Wien

12. 10. 1917

language Deutsch

Schlagwörter: Ettmayer, Karl von Kammerer, Paul Trombetti, Alfredo Schröder, Edward Wien

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (103-10864). Wien, 12. 10. 1917. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1691, abgerufen am 03. 06. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1691.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Wien 12. X.

Verehrter Herr Hofrat,

Ich finde ja eben, "Umsatteln" infolge eines Krieges sei ein Umfallen, wie es in den Kreisen der deutschen Universitätsprofessoren so schön sichtbar war zu Beginn dieses Krieges. Daß Ettmayer Ihre Worte mißverstanden hat, überrascht mich nicht: er gehört wohl zu den "Loyalen". Mein Urteil über ihn ist nicht günstig, ich finde ihn nicht bedeutend, wissenschaftlich von vornherein nicht (auch bevor er in Wien war), und menschlich seit einem Auftritt mit ihm auch nicht. Welche Geschmacklosigkeit, Ihnen von "Erbitterung" und als "Sehr geehrter Herr Hofrat" zu schreiben. Wenn ich als Ihr Schüler (aber nicht Hörer) "verehrt" (einer Empfindung gemäß) schreiben kann, so ist für ihn "geehrt" wenig. – Brüsk werde ich bei einem Zusammentreffen seine Adresse abverlangen.

[Anm.: Satz im Original entfernt]

Jellinek meint: "Kronfleisch habe ich vor Jahren zu essen bekommen, es war ganz entschieden etwas anderes als Krenfleisch, eine Art Rindfleisch".

Das Lob, das Sie meinem dolce stil (vecchio?) und meiner romanisierten Romancierhaftigkeit zollen, ist doch wohl ein Tadel, und ich weiß nicht ob nur im Munde der "Zunft" oder auch in |2|Ihrem. "Sensationslüsternheit" vollends wird Kammerer vorgeworfen und färbt wohl in manchen Kreisen auch auf mich ab, weil ich sein Freund (nicht ein Gleichgesinnter) bin. Richtig scheint, daß ich urspr. als Literat gefühlt habe, während ich durch meine Studien linguistisch denken lernte – und von Zeit zu Zeit: grattez le néolinguiste et vous trouverez le ... néophilologue!

4 Druckfehler. Oh weh! Bedenken Sie aber, daß es Kriegsdruckfehler, also Druckfehler-Ersatze sind: Schuld ist ja der Umstand, daß einem nicht genügend Korrekturen gesandt werden.

Wer ist der Trombetti-Feind? Es klingt nach Edw. Schröder und anderen Allzuernsten die von Nietzsche nicht "romanisiert" sind (in ihrer Lebensanschauung).

Ergebenste Grüße
Spitzer

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10864)