Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (85-10847)
von Leo Spitzer
an Hugo Schuchardt
25. 06. 1917
Deutsch
Schlagwörter: Theater Rolland, Romain Battisti, Carlo Wien Bonn Schuchardt, Hugo (1918)
Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (85-10847). Wien, 25. 06. 1917. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1672, abgerufen am 28. 05. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1672.
Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.
Wien, 25. VI.
Verehrter Herr Hofrat,
Sie sind glücklicher im Besitze meiner Schrift als ich (wenn auch vielleicht nicht glücklich) – ich habe noch kein Exemplar.
Es kommt darauf an, wie Romain Rolland Kristopf Krafft gehört hat: wenn das Bühnen-r gesprochen wird, so muß es den nur Zäpfchen-r besitzenden Franzosen unharmonisch klingen. Übrigens ist es ja gerade meine Meinung, daß die Laute nicht an sich widerlich klingen, sondern infolge nationaler Voreingenommenheiten. Die Nasalität Girardis1 erscheint vielleicht manchem Norddeutschen sonderlich, weil er an österreichische Schlamperei (besonders "Herzens-Schlamperei" nach dem niedlichen Ausdruck Schnitzlers) erinnert. Auf die Romano-Berberische Arbeit2 freue ich mich sehr. – Nyrop bekommt auch ein Exemplar.
Beiläufig teile ich |2|Herrn Hofrat mit, daß ich nicht mehr Privatdozent in Wien sondern in Bonn bin.3
Battisti ist aus russischer Gefangenschaft zurückgekehrt und, obwohl er sich korrekt benommen hat, will man ihn wegen des bekannten Vorwurfs des wissenschaftlichen Irredentismus (Einbeziehung der Ladinia unter Italien) das Extraordinariat nicht geben, das schon beantragt war. Nur so weiter, liebe Fakultät.
Ergebenste Grüße vom geistig arbeitenden
Spitzer
1 Österreichischer Volksschauspieler und Tenor (1850-1918), auch in Deutschland bekannt, später Engagements am Theater an der Wien und am Burgtheater.
2 H.S., Die romanischen Lehnwörter im Berberischen. Wien: Hölder 1918.
3 Wegen der Aussichtslosigkeit, als Jude in Wien eine akzeptable universitäre Position zu bekommen, beschloß Spitzer, sich in Bonn, wiederum unter Protektion Meyer-Lübkes, umzuhabilitieren.