Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (81-10843)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Wien

31. 05. 1917

language Deutsch

Schlagwörter: language Italienisch Spitzer, Leo (Hrsg.) (1929–1930) Petrocchi, Policarpo (1884) Bellini, Bernardo/Tommaseo, Niccolò (1865)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (81-10843). Wien, 31. 05. 1917. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1668, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1668.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Wien, 31. V.

Verehrter Herr Hofrat,

Wie leid tut mir Ihre Erkrankung – oder Krankheit – oder Kranken! Ich fragte mich schon nach der Ursache Ihres Stillschweigens ]gefragt[. Hoffentlich schwindet bald dessen tatsächliche Ursache und damit das Stillschweigen!

"Immoralitätsapostel" war im Sinn der Bürgerlichen Allzubürgerlichen gemeint – nicht in Ihrem selbstverständlich! Ich weiß, daß Sie zu den Bekämpfern der wissenschaftlichen Philistrosität gehören.

Das Thema "Schuchardt" sollte der Gegenstand einer Vorlesung von mir an der Univ. in einem Sommersemester sein – da erkrankte die Vorlesung – am Verbot des Militärkommandos. Ich wollte damals alle großen Romanisten in je ein bis zwei Stunden aus ihren Werken charakterisieren. (Für Sie fand ich malifaticus und galla bezeichnend)1.

Ich habe mich nicht der Urania "verschworen", sondern diese Volksbildungsanstalt muß statt der Gelehrtenbildungsanstalt herhalten, an der mir durch das erwähnte Mil. Kdo. zu lesen versagt ist!

Der eingeschickte Artikel im Ltbl. wurde ohne mein Imprimatur gedruckt – wehe über alle |2|Kriegspublikationen! Ich, der ich schon im Frieden Druckfehler in meinen Sachen wie den Sand am Meer zählen konnte, kann jetzt eigene Artikel nur mehr mit Herzklopfen lesen. Gleich in den ersten Zeilen sind die beiden Wörter Realisten und Nominalisten umzustellen! – Ich habe über unser österreichisches assentieren nachgedacht. Nirgends ist das Wort verzeichnet (außer im Brockhaus), geschweige denn erklärt (soweit mir bekannt). Es hängt offenbar nicht mit lt. assentari, sondern mit ital. assentarsi (Petr., Tomm.-Bell.)2 zusammen, also wohl mit *sedentan!

Ergebenste Grüße
Spitzer


1 Genau diese beiden Arbeiten von Schuchardt nimmt Spitzer in die von ihm redigierte Edition von Meisterwerke der romanischen Sprachwissenschaft (München, Hueber 1929-30) auf.

2 Policarpo Petrocchi, Novo dizionario universale della lingua italiana. Milano: Treves 1884 (1917 3); Niccolò Tommaseo e Bernardo Bellini, Dizionario della lingua italiana. Torino 1865 und 1915. Dies sind die zwei gängigsten Italienischwörterbucher der Zeit.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10843)