Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (65-10827) Leo Spitzer Bernhard Hurch Institut für Sprachwissenschaft, Karl-Franzens-Universität Graz Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System Creative Commons BY-NC 4.0 2022 Graz o:hsa.letter.1652 65-10827 Hugo Schuchardt Archiv Herausgeber Bernhard Hurch Karl-Franzens-Universität Graz Österreich Steiermark Graz Karl-Franzens-Universität Graz Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen 10827 Leo Spitzer Papier Brief 4 Seiten Unbekannt 1917-03-10 Hugo Schuchardts wissenschaftlicher Nachlass (Bibliothek, Werkmanuskripte und wissenschaftliche Korrespondenz) kam nach seinem Tod 1927 laut Verfügung in seinem Testament als Geschenk an die UB Graz. Bernhard Hurch 2006 Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt Berlin Walter de Gruyter Bernhard Hurch 2014 Die Korrespondenz zwischen Leo Spitzer und Hugo Schuchardt Hugo Schuchardt Archiv Bernhard Hurch

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Hugo Schuchardt Archiv

Das Hugo Schuchardt Archiv widmet sich der Aufarbeitung des Gesamtwerks und des Nachlasses von Hugo Schuchardt (1842-1927). Die Onlinepräsentation stellt alle Schriften sowie eine umfangreiche Sekundärbibliografie zur Verfügung. Die Bearbeitung des Nachlasses legt besonderes Augenmerk auf die Erschließung der Korrespondenz, die zu großen Teilen bereits ediert vorliegt, und der Werkmanuskripte.

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Leo Spitzer Unbekannt 1917-03-10 Hugo Schuchardt Korrespondenz Leo Spitzer - Hugo Schuchardt Korrespondenz Wissenschaft Sprachwissenschaft Brief Deutsch
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10. III. Verehrter Herr Hofrat,

Ich weiß nicht, ob das unterstrichene "für immer" am Schlusse Ihres Briefes mit der Absage der Entente an den Mittler Wilson zu vergleichen ist – jedenfalls bin ich kein Wilson, der die Mittlerrolle mit dem Hintergrund drönender Kanonen ausstattet, und setze daher den Gedankenaustausch weiter fort.

Sie haben den Anteil persönlicher Dankbarkeit aus meinem Schwärmen herausgehört – und ich bekenne, daß Sie Recht haben. Aber auch Gilliéron ist mir ein treuer Freund und Berater gewesen und doch empfinde ich die kulturelle wie wissenschaftliche Kluft, die ihn von M.-L. trennt, sehr stark. Ich empfinde auch, daß M.-L. Ihnen, mit dem mich doch die Bande der wissenschaftlichen Verehrung (ohne persönliches Universitätsinteresse) verbinden, in Bezug auf allgemeine linguistische Begabung und kulturgeschichtlichen Blick nachsteht. Auf der anderen Seite empfinde ich Ihre Forderung nach Akribie im Widerspruch mit dem Aufbau von Hypothesen, wie denen über das bearnische que, oder einigem in Ihrem Aufsatz über Romano-Magyarisches. Ein M.-L. würde vielleicht hier seinerseits die Forderung der Akribie stellen – ich sage das nur, um zu beleuchten, wie die Sichtbarkeit der berühmten "Warzen" von der "Bearbeitung" (=Heraus- oder Hineinarbeitung) abhängt.

M.-L. schreibt jetzt immer mit der Maschine und das kann doch kein ernster Grund für Absturz diplomatischer Beziehungen (oder Nicht-Aufrechterhaltung derselben) sein. Wie würde M.-L. ein netter Brief wie die vielen, die ich mich glücklich schätze von Ihnen zu besitzen, freuen! Ich sage dies selbstverständlich nicht offiziös (dies bei mir voraussetzen hieße mich beleidigen), sondern aus meinem Empfinden heraus. Wie wird er das Band gemeinsamen Arbeitens, das sich von Bonn nach Graz zöge, als Segen und Freud fühlen!

"Vertreter unserer Wissenschaft" – Sie stoßen sich an diesem Eindrucke! Gewiß, mit Recht! Aber jede Abgrenzung einer Wissenschaft ist ja gewaltsam und schließlich interessiert Sie ja doch mehr was El. Richter arbeitet als etwa Egon Wellesz, der Privatdozent der Musikgeschichte, den Sie vielleicht nur bei einer bestimmten Monographie zu Rate ziehen werden! Daß die romanischen Philologen gegenwärtig recht "klein" sind, ist ebenso sicher, wie daß die Indogermanistik auch recht viel Krimskrams aufzuweisen hat: bitte nur irgend eine Fachzeitschrift in die Hand zu nehmen. In sprachbiologischer Beziehung haben jedenfalls Germanisten, Slawisten und Indogerm. von uns zu lernen, nicht umgekehrt. Ein Hans Sperber ist heute in Acht und Bann getan von allen Mitgermanisten!

Gewiß hat beim Abfassen des Wb. die Zitierweise keinen persönlichen Untergrund: der Name M.-L. kommt ja auch nicht vor, sondern Rom. gramm. etc. Daß Mißgriffe vorliegen (wie gerade in Ihrem Fall), ist richtig, aber keineswegs aus gemeinen Instinkten deutbar.

Ich gebe alles zu: Sie und M.-L. sind in der Arbeitsweise, Denkweise, Lebensweise vollkommen verschieden – aber ist das nicht ein Reiz mehr, um sich kennen zu lernen? Z.B. ist M.-L. unerotisch, ich höchst erotisch veranlagt – hat das unser gedeihliches Auskommen je gehindert? Oder – um nicht Kleines mit Großem, sondern Großes mit Großen zu vergleichen – war Goethe Schiller oder umgekehrt?

Ganz merkwürdig ist Ihr Vorwurf des Militarismus, wo ich doch als ein berüchtigter Ketzer und Verfehmer desselben verhaßt bin, wo alle deutschen Dreinhauer mir das zum Vorwurf machen! Wo ich in meiner (ungedruckten) Abhandlung die Wilamowitz Moellendorffsche Parallelisierung von Wissensch. u. Militarismus bekämpfe. Der Spezialist für griechische Tragödien Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff hat sich u.a. hervorgetan mit Deutsche Reden in schwerer Zeit. Hrsg. von der Zentralstelle für Volkswohlfahrt und dem Verein für Volkstümliche Kurse von Berliner Hochschullehrern. Berlin: Heymann 1914. Die Persönlichkeit über alles – sage ich auch, aber ähnlich wie Goethe, der von der Meisterschaft in der Beschränkung gesprochen hat. Ich schachtele doch niemanden ein? Wie wäre ich sonst mit einem M.-L. so gut wie mit Gilliéron, mit Jud wie mit El. Richter?

M.-L. ist natürlich vor allem ein Schweizer – verschwiegen, nicht leicht zugänglich, aber bei näherem Kennenlernen tiefgründig und denkt sich über manche Dinge eine Masse, was man nicht bei ihm vermutet. Warum sollen wir nicht hierin auch die Persönlichkeit respektieren? M.-L. findet wieder, Sie wären zurückhaltend gewesen!

Die Detail-Gravamina (nicht erwiderte Bemerke oder Nicht-Gratulieren u.dgl.) sind doch wohl nur Anlässe, nicht Ursachen einer nicht ganz wolkenlosen Beziehung. Da sagen bekanntlich beide Teile, der andere habe angefangen, während "es" angefangen hat. Gerade eine gewisse edle Männlichkeit und Geradheit fällt uns Österreichern im Gegensatz zur hiesigen Waschlappigkeit wohltuend bei ihm auf!

M.-L. ist gewiß nicht humorvoll und doch atmet sein Familienleben etwas vom deutschen Hause Eigenes, einen Zauber der einfachen Redlichkeit und Herzlichkeit, den jeder Einblick gewinnende nicht genug zu preisen weiß. Seine Hörer (auch die Nur-Hörsaal-Hörer) heben seine sonnige Arbeitsfreude, sein wohlwollendes Auge hervor – "Schwamm", werden Sie sagen!

Lassen Sie uns die Akten schließen! Aber verargen Sie es mir nicht, wenn ich das Sprichwort les amis de nos amis sont nos amis auch hier wahr machen möchte. Verargen Sie es meiner Jugend nicht, wenn sie noch glaubt, daß im Reiche der großen Gelehrten auch jene weltentrückte Güte herrschen sollte, die Gegensätze auflöst! Und seien Sie überzeugt, daß meine Motive durchaus uneigennützige sind: ich "habe" ja nichts "davon", wenn ich zwei mir als Vorbilder dienende Menschen "zusammenbringen" möchte, mais là, sérieusement!

So, und nun eile ich zu einer Wiederholung meines Vortrags "Spr. u. Weltgeschehen" im Volksheim!

Ergebenste Grüße vom allzeit ergebenen Spitzer

13. III. Nun habe ich diesen Brief noch etwas abliegen lassen. Inzwischen trifft Ihre Karte ein, die den Schweizer Einwand auch erwähnt. Ferner noch etwas: gewiß, Sie sind eine monographische Natur – aber eben deshalb sind Sie jedem Verfasser eines Kompendiums überlegen. Denn die Einzelfrage läßt sich so ausschöpfen wie der aufs Ganze bedachte Verfasser nicht konnte. Jeder Dissertationsschmierant hat es leicht, seine Überlegenheit einem M-L gegenüber zu beweisen, der natürlich sich nicht in eine Frage versenken konnte. Der Wert der Kompendien ist ja eben, daß sie das Wissensrepertorium einer Zeit zusammenfassen – um die Lücken, Mängel, Widersprüche derselben umso klarer aufzudecken. M.-L's REW mag manchen Mangel haben – aber sein größter Vorzug ist: es ist da. Seine Mängel sind schließlich identisch mit denen unserer Sprachwissenschaft. Ein Saussure mag fehlerhaft gedacht sein – er ist eben da, um von Schuchardt verbessert zu werden. Aber ohne REW, ohne Cours de Ling. gén. wären wir ja gar nicht imstande, weiterzukommen!

E.R's Artikel ist tatsächlich in der Urania-Ztschr. erschienen – wie ich glaube: das Format stimmt nämlich mit allen möglichen Zts. überein. Elise Richter hält in diesen Jahren regelmäßig Kurse an den Wiener Volkshochschulen, insbesondere zu zeitgenössischer romanischer Literatur. Die am weitesten ausgearbeitete Version ihrer Beschäftigung mit "boche" findet sich jedoch in Zeitschrift für französische Sprache und Literatur XLV (1919): 121-135. In der Urania-Zeitschrift findet sich jedenfalls kein Artikel von E. Richter. Das kommt davon, wenn Separata [...].