Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (64-10826)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Wien

07. 03. 1917

language Deutsch

Schlagwörter: Meyer-Lübke, Wilhelm Hestermann, Ferdinand Schroefl, Othmar Zürich Schroefl, Otmar (1915)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (64-10826). Wien, 07. 03. 1917. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1651, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1651.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Wien, 7. III.

Verehrter Herr Hofrat,

"Lawinen" auf Schonungsbedürftige (übrigens geistig gar nicht "Perseverierende" im Oecklschen Sinn!) zu wälzen, ist nicht meine Absicht. Daß Sie mir wegen der Lawine nicht böse sind, freut mich. Da Sie direkt fragen, welche Äußerung auf "Unterschätzung" M-L's schließen lassen, antworte ich mit lawinenhafter Offenheit: die über die "Quisquilien", über die M.-L. handle, auch die Herausarbeitung des Druckfehler-Vorwurfs, wo es doch viele Gelehrte gibt, die unhaltbare Theorien mit tadellosen Zitaten zu stützen wußten [...] über den Begriff Methode etc. – Mir tut an all dem nur leid, daß die Häupter unserer Wissenschaft geistig isoliert leben. Könnte ich selbst mit meinen bescheidenen Kräften zu einem Kontakt – der über das bloß Höfliche und das Korrespondenzminimum hinausgeht – wirken, ich würde mir das zur hohen Ehre und Genugtuung anrechnen.

Mein "noch" bezog sich nicht etwa auf eine Kritik Ihrer Arbeitsweise, die jeden Menschen Persönlichstes ist und daher am wenigsten mir zu beurteilen zusteht, sondern auf mein ewig ruhelos vorwärts pustendes Temperament, das "schon" bei was anderem, nämlich bei der Cocotte (mit der Herr Hofrat sich nicht befreunden zu wollen scheinen), hält, um jetzt zu Nyrops syntaktischen Ohnmächtigkeiten überzugehen.

Der Rest Ihrer Karte ist von der Grazer Stempelwut, die übrigens ebenfalls ein Austriazismus ist (Motto: "Zuerst ein Stempel, dann wird das Amt erst gegründet", d.h. also das Amt ist um des Stempels willen da!), vollkommen unleserlich gemacht. Ich entnehme etwas von einer magyarischen Etymologie (welcher? wovon!) und von einem Dr. Hestermann, den ich nicht |2|kenne.

Haben Sie Schroef]e[ls Arbeit über den Mohn1 gelesen? Der Mann ist ein Grazer, der in Zürich seine Studien beendet hat.

Ergebenste Grüße und nichts für ungut!
Spitzer


1 Otmar Schroefl, Die Ausdrücke für den Mohn im Galloromanischen: eine onomasiologische Studie. Graz: Deutsche Vereins-Druckerei 1915.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10826)