Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (55-10817)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Wien

11. 02. 1917

language Deutsch

Schlagwörter: Wurzbach, Wolfgang von Bismarck, Otto von Schuchardt, Hugo (1916) Rignano, Eugenio (1916) Borngräber, Otto/Brandes, Georg (1916)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (55-10817). Wien, 11. 02. 1917. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1642, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1642.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


|1|

Verehrter Herr Hofrat,

Wenn mir der Himmel lacht, so ist es ein künstlich erzeugter Himmel, nicht ein tatsächlich bestehender, da Sie, Herr Hofrat, an meinem kleinen Leid teilnehmen, so mögen Sie wissen, daß die dauernde Zurücksetzung hinter allen möglichen Protektionskindern – ein Wurzbach wird Extraordinarius werden! – und Angehörigen irgend welcher Parteien – Typus Winkler, der [gelöscht] Brünn hinter sich hat – einem Partei- und Cliquelosen solange wehe tut, bis er beschließt, allen diesen, wie es so schön in Wolff-Bureau-Kundgebungen heißt, "die Stirn des Trotzes und der Verachtung" entgegenzusetzen. Daher der "Himmel" im Leipziger Blau. – Ihr "E-L." hat m.E. den Fehler aller Urteilssprüche in eigener Sache: die Inkompatibilität von Verteidiger- und Richteramt.1

Daß Herr Hofrat mich der Untersuchung nach meinen Anschauungen für wert befinden, erfreut mich und ist ein Balsam für ein verletztes Gemüt wie das meine, das leider eher von großen als vom Mittelmaß diese Genugtuung erntet. – Das "Böse", das ich über Sie denke, gleicht dem Bösen, das man an Goethe, Bismarck usw. findet: man macht die großen Verfechter eines Prinzips, einer Anschauung, weil mit Kleinen sich zu streiten ja nicht der Mühe wert ist. Deshalb sind die Bekämpften noch immer Bismarcks und Goethes. Herr Hofrat mißverstehen mich also nicht? – Beide Arbeiten (Rignano2Brandes3) kenne ich nicht und wäre für leihweise Überlassung dankbar.

Ist Ihr Geburtstag nicht am 2. II., so doch am 4. IV. (siehe Widmung von Gilliéron Etudes etc.).

Daher seien die Wünsche für diesen Tag verschoben und um ein Beträchtliches verstärkt. Ihr ergebenster
Spitzer

|2|

1 H.S., Elsaß-Lothringen, in: Wissen und Leben 10 (15. November 1916), 157-165.

2 Eugenio Rignano, Die Kriegsursachen und die Friedensfrage. Einleitung von L.M. Hartmann u. R. Muir. Zürich: Orell Füssli 1916.

3 Georg Brandes und Otto Borngräber, Friedens-Appell an die Völker. Vorwort von E. Trösch, Stockholm: (Neutrale Konferenz) 1916.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10817)