Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (33-10795)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Wien

04. 10. 1916

language Deutsch

Schlagwörter: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen Archivio glottologico italiano wissenschaftliche Anmerkunglanguage Altfranzösischlanguage Italienisch Schuchardt, Hugo (1917) Holzschuher, Johann Friedrich Sigmund von (Hrsg.) (1858) Schmeller, Johann Andreas (1827–1837) Spitzer, Leo (1919)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (33-10795). Wien, 04. 10. 1916. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1603, abgerufen am 21. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1603.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Wien I. Spiegelg.10, 4. Okt. 1916

Verehrter Herr Hofrat,

Dank für Ihre Hungarica. Über slamasztika möchte ich einiges bemerken.1 Haben Sie meine Ausführungen Archiv f.neu.Spr. 1911 S. 159 gelesen? Ich halte auch jetzt noch an meiner damaligen Erklärung fest. Das deklinationslose Adjektiv in Schlimm Masel hat nichts Auffälliges, da im Jüdisch­deutschen auch Gut Jomtev (=gut jaum tauv), 'fröhlicher Feiertag!' (an den drei hohen Festen, nicht am Rausch haschonoh und Jaum Kippur!) gesagt wird. Die Form Schlimasel bei Kluge (aus Pfister 1817) ist m.E. beweisend, ferner, daß in Itzig Feitel Stern's "Lexikon der jüdischen Geschäfts- und Umgangssprache" (Leipzig und Meißen 1858)2 auch schon Schlamassel 'Unglück, Mallöhr [sic!], übler Zustand' erscheint. Das Wort Massel ist im Jüdischdeutschen auch gebräuchlich: er hat ein Masel = 'er hat eine Sau', sprichwörtlich ein Masel wie ein Goj, 'ein Glück wie ein Christ'. Bei Schmeller3 ist auch einiges über der und das Schlamassel zu lesen aus dessen Angaben ließe sich die Geographie rekonstruieren. Beachten Sie noch: das Schlamassel wie das Massel. Das da lieg ich in der Schlamassen, er steckt in einer schönen Schlammastik erklärt sich aus der sekundären Einmischung von Schlamm. Dtsch. Massel ist übrigens auch im Romanischen vertreten: Cervantes'sches|2|desmazalado , worüber REW 5448 nach Arch. glott.4 X. 48 – Die Etymologie = afz. esclamasse findet ihr Seitenstück an der Schmeller'schen: ital. schiamazzo + Schlamm.5

Wenn Herr Hofrat mit diesen Anmerkungen etwas anfangen könnten, so wäre ich sehr erfreut.

Ergebenste Grüße

Spitzer


1 H.S., "Slamasztika", in: Magyar Nyelvör 1 (1916): 293.

2 Johann Friedrich Sigmund von Holzschuher, Itzig Feitel Stern's gesammelte Schriften. Bd.8. Leipzig: Goedsche 1858. In diesem Band ist besagtes Lexikon enthalten.

3 Johann Andreas Schmeller, Bayerisches Wörterbuch. Stuttgart: Cotta, 1827-37.

4 Archivio Glottologico Italiano.

5 L.S. veröffentlicht zu einem späteren Zeitpunkt: "Nochmals mundartl. dtsch. schlamassel, schlamast(ik) 'Verlegenheit, Unannehmlichkeit'", in: Archiv für das Studium der Neueren Sprachen 138 (1919): 234-236.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10795)