Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (30-10792)
von Leo Spitzer
an Hugo Schuchardt
31. 07. 1916
Deutsch
Schlagwörter: Magyar Nyelvör Dankschreiben Bittschreiben Publikationsversand Verlagsbuchhandlung Leuschner & Lubensky Publikationsvorhaben Schuchardt, Hugo (1914) Schuchardt, Hugo (1894) Schuchardt, Hugo (1904)
Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (30-10792). Wien, 31. 07. 1916. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1600, abgerufen am 22. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1600.
Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.
Wien Cottage Sanatorium, Montag
Verehrter Herr Hofrat,
Dank für die rasche Übersendung der Broschüren und Ihre guten Wünsche. Ihre gemäßigte Haltung dem Purismus gegenüber freut mich, da ich gegen die Bilderstürmerei gegen alles Fremde, die mit dem Scheibeneinhauen auf einer Stufe steht, in meiner Schrift lebhaft polemisiere. Diese ist nun schon etwa 20 kleinbeschriebene Konzeptpapier Seiten lang, geißelt vor allem die im Kriege herrschende Begriffsverwirrung und stellt sich auf einen rein international-pazifistischen Standpunkt. Ich sehe daher vollkommen von einer Parteinahme gegen irgend einen Staat ab, wie Sie z.B. gegen England auftreten. Ich erblicke übrigens im Engländertum eine geringere Gefahr als im Franzosentum, das engl. Fremdwort ist ja bei uns weder so vertrübt noch so populär. Daß Sie die deutschen Frauen zur Mitarbeit am 'Reden', nicht 'Parlieren' auffordern, ist sehr schön: leider sind die Frauen im Denken noch mehr militarisiert als die Männer, ihre sexuellen Instinkte sind durch den Krieg aufgepeitscht – die vom Mitleid patronisierte Gefangenenliebe ist mir noch sympathischer als die von der Grausamkeit und der Freude am Blut und am Manneskörper eingegebene Pflege-Manie – , daher sie sehr viel Schuld an der Begriffsverwirrung haben. – Die zweite Abhdlg. über die Personennamen ist, wie ich glaube, unwiderlegbar: ein hübsches Beispiel für Ihre These ist James - Jacques - Jakob - Kobi, die in ganz verschiedenen deutschen Milieus gebräuchlich sind und sie daher evozieren.
Nun machen Herr Hofrat mir lange Zähne auf einen Nachtrag im Nyelvör und in der 1914-Abhandlung1 finde ich noch einiges zitiert, was mich interessierte: "Weltsprache und Weltsprachen"2, "Zur Wahl |2|einer Gemeinsprache"3, "Französisch und Englisch" – dürfte ich das alles erbitten, außerdem sonstige Kriegsliteratur aus Ihrer Feder (das über die Portugiesen, "Ein bischen Philologie" besitze ich). Denken Sie, mit welcher Freude ein Rekonvaleszent derlei Leckerbissen verschlingt!
Der Boche-Artikel von Frau Dr. Richter ist fertig. Sie nimmt, wie ich glaube, eine Konvergenz zweier Etyma an. Ich finde dies ganze Beginnen illusorisch – die schwerst zu etymologisierenden Wörter sind ja die zeitgenössischen. Nun noch eine Frage: Glauben Herr Hofrat, daß Ihr Grazer Verleger mir meine "Krieg und Sprache"-Broschüre, die wie gesagt sowohl gegen die Entente – als gegen unsere Blätter Ausfälle macht, auf Ihre eventuelle Vermittlung hin, die ich dann erbitten würde, zum Druck annehmen würde?
Ergebenste Grüße und innigen Dank
Spitzer
1 H.S., Deutsch gegen Französisch und Englisch. Graz: Leuschner & Lubensky 1914.
2 H.S., "Weltsprache und Weltsprachen". An Gustav Meyer. Straßburg: Trübner 1894.
3 H.S., "Zur Frage einer künstlichen Gemeinsprache", in: Beilage zur Allgemeinen Zeitung (Augsburg/München) 107 (1907): 259-261.