Otto Jespersen an Hugo Schuchardt (27-05122)
von Otto Jespersen
an Hugo Schuchardt
26. 06. 1914
Deutsch
Schlagwörter: Rezension Sprachursprung Syntax Dankschreiben Jespersen, Otto (1913) Schuchardt, Hugo (1914) Jespersen, Otto (1894) Jespersen, Otto (1924) Jespersen, Otto (1914)
Zitiervorschlag: Otto Jespersen an Hugo Schuchardt (27-05122). Kopenhagen, 26. 06. 1914. Hrsg. von Bernhard Hurch und Francesco Costantini (2007). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.154, abgerufen am 30. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.154.
Gentofte 26.6.14
Cher maître,
In 1886 schrieben Sie eine anzeige von meinem erstlingsversuch als sprachforscher ("Zur lautgesetzfrage")1 und gaben mir dadurch eine ermunterung, eine förderung, für die ich Ihnen bis heute herzlich dankbar bin. Und jetzt, nach so vielen jahren, haben Sie mir abermals die ehre erwiesen, ein buch von mir anzuzeigen2, und ich bin Ihnen auch dafür sehr dankbar, wenn ich auch diesmal weniger mit Ihnen einig bin als ich damals|2| war. Die uneinigkeit beruht, wie Sie richtig gesehen haben, wesentlich darauf, dass Sie genetisch denken, und dass ich dies in dieser untersuchung vermeiden wollte, weil ich nicht weiss, wie man begriffe wie subjekt und prädikat in der ursprache oder den ursprachen feststellen kann ohne die von mir schon 1894 (Progress3 p. 334) gerügte methode anzuwenden. Wenn ich damals, wie Sie sagen, dem urmenschen durchaus nicht |3|schon ausgewichen bin, beruhte es ja eben darauf, dass ich glaubte eine andere methode (die rückschliessende) gefunden zu haben: die lässt sich aber zwar auf mein damaliges problem, aber nicht auf die jetzige grammatische untersuchung anwenden.
Ich füge nur folgendes hinzu: ich würde das eingliedrige impersonale nicht aus dem zweigliedrigen satz ableiten: weshalb kann es nicht von allem anfang an eingliedrig gewesen sein? Dass die sprechenden aus dem eingliedrigen einen zweigliedrigen satz (es regnet) gemacht hat, also |4|ein historisches verfahren in vielen (nicht allen) sprachen, berechtigt uns doch nicht dazu, das (noch) eingliedrige als zweigliedriges aufzufassen.
“The Basis of Grammar”4 ist zum teil geschrieben, aber leider nur zum teil; wann ich das buch fertig bringe, weiss ich nicht, da ich noch andere eisen im feuer habe (namentlich den zweiten band von meiner engl. Syntax5): es wäre mir sehr lieb, vor dem erscheinen meines buches noch Ihr “prädikat, subjekt, objekt” begrüssen zu können: ich verspreche mir daraus reiche belehrung.
Mit herzlichem gruss
Ihr ganz ergebner
Otto Jespersen
Eine reise nach England und examen nach meiner rückkehr hat diesen brief leider verspätet.
1 S.o. Brief Nr.1 und Fußnote.
2 O.J., Sprogets Logik, Kopenhagen: Universitetsbogtrykkeriet, 1913. Schuchardts Rezension erscheint 1914, Brevier/Archiv Nr. 668.
3 O.J., Progress in Language with special reference to English. London: Sonnenschein/New York: MacMillan, 1894.
4 Es handelt sich um den später erschienenen Band O.J., The Philosophy of Grammar. London: Allen & Unwin, 1924.
5 O.J., A Modern English Grammar on Historical Principles. Part II. Syntax. Vol. 1. Heidelberg: Winter, 1914.