Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (23-10786)
von Leo Spitzer
an Hugo Schuchardt
04. 08. 1915
Deutsch
Schlagwörter: Gilliéron, Jules Jud, Jakob Wien Schuchardt, Hugo (1906)
Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (23-10786). Zagreb, 04. 08. 1915. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1510, abgerufen am 06. 12. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1510.
Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.
Agram, Gajeva ulica 15, 4. Aug.
Verehrter Herr Hofrat,
Mein Wunsch nach Ihrer Broschüre hat sich mit dessen Erfüllung gekreuzt. Daß Sie mir nach Wien schrieben, zeigt, daß Sie circa 3 Karten von mir nicht erhalten haben. Ich bin gegenwärtig in eine in etwa 5 Wochen nach Galizien abgehende Marschcompagnie, vorläufig als Zugsführer, eingeteilt.
Ihr lieber Brief hat mich sehr gefreut. Bei meiner Bemerkung über Ihre "Mikroskopie" oder Nicht-Mikroskopie müssen Sie nicht etwa die Feststellung eines Mancos, sondern die Ihrer Vorzugsneigung sehen. Natürlich haben Sie großartig mikroskopische Arbeiten veröffentlicht (malifatius),1 aber von vornherein stellen Sie doch wohl die Linse auf Panoramas ein. Auch sagt mir mein – allerdings stark militarisiertes – Gedächtnis keine Arbeit von Ihnen, in dem die sprachgeographische Erwägung in der Art Gilliérons und Jud das punctum saliens bildet.
Unsere ganze Wissenschaft, insofern sie Worte auf die Nadel spießt, ist ja wohl eine mikroskopische – und so ist wohl trotz Ihres weitreichenden, Ihres Riesenarbeitsgebietes doch auch von Mikroskopie bei Ihnen zu reden, aber Ihre ganze Persönlichkeit scheint mir eher umfassend auf das Große und Großzügige gerichtet als auf das Detail. "Scheint" – das ist ja der ewige drawback einer subjektiven Würdigung wissenschaftlicher Leistungen.
Ergebenste verehrungsvolle Grüße
Spitzer
1 H.S., "Franz. mauvais – lat. malifatius", in: Zeitschrift für Romanische Philologie 30 (1906): 320-328.