Moses Gaster an Hugo Schuchardt (1-3571)

von Moses Gaster

an Hugo Schuchardt

Breslau

25. 11. 1878

language Deutsch

Schlagwörter: Verlage Phonetik Grammatikographie Eduard Weber's Verlag Gebr. Henninger Dankschreiben Zeitschrift für romanische Philologie Grundriss der romanischen Philologie Verlag Karl J. Trübnerlanguage Rumänisch Gröber, Gustav Jarnik, Johann Urban Diez, Friedrich Christian (1836–1838)

Zitiervorschlag: Moses Gaster an Hugo Schuchardt (1-3571). Breslau, 25. 11. 1878. Hrsg. von Luca Melchior (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1491, abgerufen am 19. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1491.


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Hochgeehrter Herr!

Seit kurzer Zeit von meiner Heimat zurückgekehrt, war ich gestern bei Herrn Prof. Gröber1, der mir Ihr sehr günstiges Urtheil über meine Arbeit mittheilte, wofür Ihnen innigsten Dank zu sagen, ich mich hiermit beeile.

Bei Gelegenheit erwähnte Herr Prof. Gröber auch der Grammatiken-Unternehmungen (denn bis dahin hatte ich bloss von dem Henningerʼschen Unternehmen2 gewusst), und theilte mir zugleich den Stand der Dinge in Bezug auf die rumaenische Grammatik mit, wobei Herr Prof. Gröber mir empfahl |2|mit Jarník3 zusammenzuarbeiten, für das Bonner Unternehmen4, da Sie bedauerlicherweise davon zurückgetreten seien.

Trotz der Hochachtung und Dankbarkeit, die ich Herrn Prof. Gröber gegenüber, als meinem Lehrer, empfinde, konnte ich nicht um hin den Vorschlag abzulehnen, da ich mir keine Vorstellung machen kann, wie dieses Zusammenarbeiten bei so weit von einander liegenden Städten möglich sei, wobei aber auch das Eigenthum eines Jeden gewahrt bleibe?

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Ganz zu schweigen von dem nothwendigen Missverhältniss in dem Herr Jarník als Ausländer sich mir gegenüber befindet.5 Ich bin aber auch weit entfernt etwa eine Konkurenzarbeit liefern zu wollen, vielmehr wird es mich freuen, wenn Herr Jarník allein die Arbeit unternehmen wollte. Erst nach Abschluss und Veröffentlichung derselben, könnte es dann wohl möglich sein, dass ich das nachtrage, was in der Grammatik fehlt.

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Inzwischen aber gedenke ich das von mir gesammelte Material für Monographien zu verwerthen, wie die über die „Gutturale Tenuis“6.

Indem ich Ihnen nochmals Dank für Ihr gütiges Urtheil sage

verbleibe ich hochachtungsvoll

ergebenst

Dr M. Gaster
Breslau 25.XI.78 Freiburgerstr. 44 III


1 Gustav Gröber (1844-1911), Romanist, war 1874 bis 1880 Professor in Breslau (dem heutigen Wrocław). Er war u.a. Begründer der Zeitschrift für romanische Philologie und Herausgeber des monumentalen Grundriss der romanischen Philologie (Gröber 1888-1902), in dem Gaster die Sektionen über die nicht-lateinischen Elemente im Rumänischen (Gaster 1888) sowie über die rumänische Literatur übernahm (Gaster 1901).

2 Gemeint ist wahrscheinlich der Plan zu dem, was der Grundriss (Gröber 1888-1902) wurde, welcher jedoch erst ein Jahrzehnt später bei Trübner erschien. Beim Heilbronner Verlag Gebr. Henninger erschien einige Jahre später die von Gustav Körting verfasste Encyklopädie und Methodologie der romanischen Philologie (1884-1888).

3 Vgl. den auf dem 29.11.1878 datierten Brief von Gröber an Schuchardt (Archivnummer 04029): „Erst gestern habe ich Gaster sprechen können und darum erfolgt meine Antwort so spät. Ich habe ihm die Lage der Dinge mitgetheilt und ihm die Zweckmäßigkeit seiner Vereinigung mit Jarník bez. der Bearbeitung der rumänischen Grammatik nahe gelegt. Er wird sich die Sache überlegen und Ihnen und Jarník, wie ich denke, in den nächsten Tagen schreiben“ (ich danke Katrin Purgay für die Bereitstellung der Transkription).

4 Gemeint ist das Vorhaben von Julius Flittner, Leiter des Eduard Weber’s Verlag, eine fünfte Auflage der diezschen Grammatik der romanischen Sprachen herauszugeben, der Anhänge über die Fortschritte in den einzelnen romanistischen Disziplinen sowie einzelsprachlichen Spezialgrammatiken zur Seite gestellt werden sollten (vgl. Găzdaru 1954). An dem Unternehmen beteiligten sich namhafte Romanisten der Zeit; Schuchardt war beauftragt worden, den Anhang sowie die Spezialgrammatik für das Rumänische zu verfassen und regte Jan Urban Jarník zur Mitarbeit an (vgl. Einleitung). Als er 1878 vom Projekt zurücktreten wollte, bat ihn Jarník, einen Ersatz zu finden; die beiden einigten sich auf den Namen Gaster. Zugleich versuchte Adolf Mussafia, Mentor Jarníks, Gustav Gröber, Gasters Doktorvater, zu überzeugen, Gaster zur Mitarbeit mit Jarník anzuregen (eine kritische Edition der im Schuchardtarchiv befindlichen Materialien zum Thema ist in Vorbereitung). Das Vorhaben scheiterte jedoch, so dass die Neuauflage der Grammatik von Diez lediglich ein Abdruck der dritten Auflage war (vgl. Diez 51882).

5 Gaster hatte das rumänische Erstwerk Jarníks ( Jarník 1877 ) mit folgenden höchstlobenden Worten rezensiert: „Mit der seltenen Ausnahme von Miklosich, hat ein Ausländer wol kaum ein so genaues Verständnis der rumänischen Sprache gezeigt, als der Verf. dieser Schrift […]“ ( Gaster 1878a :654). Das Vorhaben Jarníks, eine rumänische Grammatik zusammen mit Schuchardt zu schreiben, von dem er schon früher durch Jarník erfahren hatte, hatte er jedoch mit Staunen in einem Brief an diesen (aus Breslau, vom 30.6.1878) kommentiert: „M-a surprins dar de a auzi, că ai de gînd să lucrezi la o gramatică română împreună cu Schuchardt. Desigur numai una mai scurtă, practică? dar nu una raţionată, istorico-filologică? Pe mine mă îndemnase deja de mult d-nu[l] prof. Groeber şi, cum zisei, am lucrat deja foarte mult in această privinţă, M-aş mira dacă şi d-ta vei avea aceeaşi ţintă. In orice caz, te rog răspunde-mi în privinţa aceasta îndată, căci ne interesează pe amîndoi deopotrivă“ (Jarník 1983, 58, Edition von Traian Ionescu-Nişcov). Auch später scheiterte die Zusammenarbeit zwischen Jarník und Gaster zum Projekt einer romanischen Chrestomathie (vgl. Florea 2009a, 2009b:223).

6 Vgl. Gaster ( 1878b , 1878c ).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 3571)