Hugo Schuchardt an Otto Jespersen (14)
von Hugo Schuchardt
16. 12. 1893
Deutsch
Schlagwörter: Biographisches Rezension Syntax Dankschreiben Reflexion über das Rezensieren Publikationsversand Reflexion über das Publizieren Publikationswesen Druckwesen Selbstverlag Baskisch
Berberisch Schuchardt, Hugo (1893) Gabelentz, Georg von der (1891) Schuchardt, Hugo (1893)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Otto Jespersen (14). Graz, 16. 12. 1893. Hrsg. von Bernhard Hurch und Francesco Costantini (2007). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.144, abgerufen am 01. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.144.
Graz, 16. Dez. ’93
Sehr geehrter Herr,
Indem ich Ihnen für Ihre Anzeige bestens danke, bemerke ich dass meine Neigung zu anmeldelser (Rezensionsabhandlungen – denn blosse Rezensionen schreibe ich jetzt nur ausnahmsweise) und smasafhandlinger nicht nur aus meinen physischen Umständen zu erklären ist – der grösste Theil des Jahres wird durch meine Neurasthenie in Beschlag genommen –, sondern gerade aus dem Bedürfnis mich zu konzentrieren und über das mir Neue ausführlicher aus|2|zusprechen. Allgemeine Fragen "streife" ich allerdings meistens nur; aber das geschieht doch eben (nebenbei und einleitungsweise) wo ein Besonderes meinen eigentlichen Gegenstand bildet, wie der "mehrzielige" F. u. R.-s.,1 den ich freilich, bei der großen Dürftigkeit der einzelsprachlichen Syntaxen, vorderhand nicht "erschöpfend" behandeln konnte. In meiner Anzeige von Passy2 und Rousselot3 glaube ich denn aber doch mehr gethan als die allgemeinen Fragen bloss gestreift zu haben. Es wäre mir sehr wünschenswerth zu wissen wie Sie sich das tiefere Eingehen denken. Es handelt sich hier nicht um eine rhetorische Frage: ich bin wirklich für jeden Fingerzeig und jede Anregung sehr dankbar. Setzen Sie mir eine |3|oder die andere bestimmte Aufgabe und geben Sie mir an in welcher Ausdehnung sie zu behandeln ist.
Nehmen Sie ein Werk wie das von Gabelentz über die Sprachwissenschaft4; welche ungeheure Fülle von Anregungen! und alle Probleme sind nur gestreift, ja viele kaum erwähnt. Ich beklage den Tod dieses Forschers um so mehr als ich seine letzte Schrift über Berberisch und Baskisch nothgedrungen einer sehr absprechenden Beurtheilung unterzog.5 Er schrieb mir darauf einen sehr liebenswürdigen Brief, aus dem ich aber doch mit einiger Verwunderung ersah dass meine Argumente und Nachweise keinen besondern Eindruck auf ihn gemacht hatten. Wie sehr hatte ich mich darauf gefreut, einen und den anderen von den tausend |4|Punkten die in seinem Buche berührt werden, freundschaftlich mit ihm zu diskutiren, und nun kann er mir nicht einmal darauf mehr erwidern was ich eben in einer smasafhandling gegen ihn vorgebracht habe. Sie werden dieses noch vor Neujahr haben, und Sie haben vielleicht die Güte, in irgendeinemdortigen Organ unter neuerschienenen Schriften auch diese verzeichnen zu lassen. Ich drucke nämlich wieder einmal (wenn ich auch einen Verleger habe) auf eigene Kosten, und möchte gern feststellen, in wie weit es möglich ist – bei derartigen Flugschriften die Kosten wieder einzubringen. Deshalb versende ich nur wenig Exemplare und nach Dänemark nur an Sie eines.
Mit besten Grüssen
Ihr ergebenster
HS
1 H.S., "Der mehrzielige Frage- und Relativsatz", Analecta Graeciensia 1893, 195-217. Archiv/Brevier Nr. 266.
2 Paul Edouard Passy (1859-1940), Französischer Sprachwissenschaftler.
3 Jean Pierre Rousselot (1846-1924), Französischer Sprachwissenschaftler, ein Pionier auf dem Gebiet der Experimentalphonetik.
4 Georg von der Gabelentz, Die Sprachwissenschaft, ihre Aufgaben, Methoden und bisherigen Ergebnisse, Leipzig: Chr. Herm. Tauhhnitz, 1891.
5 H.S., "G. v. d. Gabelentz, Baskisch und Berberisch", Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 14: 334-338. Archiv/Brevier Nr. 270.
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv“ erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Dänische Königliche Bibliothek, Signatur NKS 3975 4°. (Sig. (14))