Hugo Schuchardt an Graziadio Isaia Ascoli (132-B76_4)
von Hugo Schuchardt
04. 12. 1895
Deutsch
Schlagwörter: Grazer Tagespost Schmidt, Johannes Stradner, Josef Giacomino, Claudio Schuchardt, Hugo (1895)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Graziadio Isaia Ascoli (132-B76_4). Graz, 04. 12. 1895. Hrsg. von Klaus Lichem und Wolfgang Würdinger (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1281, abgerufen am 07. 12. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1281.
Graz 4 Dez 95.
Theurer Freund,
Mein Waffenluxus1 in der Personalnamenfrage ist allerdings ein wahrer Luxus d.h. ganz überflüssig gewesen, da ich Sie nicht zu überzeugen vermochte. Ich komme später auf diese Angelegenheit noch einmal zurück, und zwar werde ich die Forderung stellen dass im wissenschaftlichen Verkehr (also vor Allem im Drucke; wie sie brieflich geschrieben oder überhaupt gesprochen werden, ist nebensächlich) die Vornamen (bei den Magyaren die Nachnamen) in allen Sprachen unverändert zu bleiben haben. Und zwar im Sinne der wissenschaftlichen Akribie auf die wir uns so viel zu gut thun. |2| Was wollen Sie denn mit Inizialen anfangen, von denen Sie nicht wissen welchen Namen sie vertreten? Und würden Sie denn einen Jean Paul Richter und einen Johann Paul Richter, einen Louis Büchner und einen Ludwig Büchner in Giovanni Paolo R. und Luigi (oder Lodovico?) B. zusammenschmelzen wollen? Die Uebersetzbarkeit der Namen zugegeben, wozu sie übersetzen? Für das Volk mag das gut und nöthig sein, aber für die Gelehrten - innerhalb der Sprache der Wissenschaft? Und wie steht es mit der 'giustizia distributiva'? Wir sagen Ernesto Monaci, Francesco d'Ovidio u.s.w. und Sie wollen nicht sagen Ernst Curtius, Franz Bopp u.s.w.? Warum sollte es Ihnen denn schwerer als den Franzosen fallen Hugo Schuchardt (ich bin nie einem Hugues Sch. begegnet) zu schreiben? Der spiritus asper|3| passt recht gut zu mir. Mir und keinem der einigermassen mit ital. Ltg. bekannt ist würde es einfallen (si parva......) Ugo Foscolo mit einem H auszustatten. - Und schliesslich wenn Sie auch mein Prinzip nicht annehmen wollen, sie werden und müssen doch zuweilen von dem ihrigen Ausnahmen machen, also inkonsequent sein. Um von Johannes zu schweigen das in Deutschland keineswegs selten ist (es gibt sogar noch einen Sprachforscher Johannes Schmidt), was fangen Sie denn mit unserem Gottlob, Gottlieb an? Da können Sie ja nicht einmal wie an Gotthard Gottfried u.s.w. ein o anhängen. Und wenn Sie Büchertitel übersetzen, so mag allerdings Massimiliano di Baviera ganz gut einem Max |4|von Bayern entsprechen, aber wenn das bekannte Buch von Busch, Max und Moritz in einem italienischen Bücherverzeichniss als Busch , Massimiliano e Maurizio figurirte, so würde dieser Titel lustiger sein, als die Kindergeschichte selbst. Nein, verehrter Freund, Sie werden mich nicht davon abbringen dass meine Forderung eine berechtigte ist, dass mein System einfach und bequem, gerecht und wissenschaftlich ist. Sie können nur sagen: Car tel est notre bon plaisir.
Mit der Uebermittlung der Irredenti an die Tagespost wäre mir keine Ungelegenheit bereitet worden; vermuthlich hätte der Redakteur J. Stradner, dessen Spezialität die Istriologie bildet und der sehr italianophil ist, eine Anzeige davon gebracht. Aber ein Bedenken kann ich nicht verschweigen: ich glaube nicht dass ein politisches Blatt, das ja, und besonders in allen nazionalen Dingen, einen ganz bestimmten Standpunkt einnimmt, derlei unparteiisch |5| zu würdigen vermag. Ich sehe das zu meinem Leidwesen wieder an den Geschicken meines Pamphlets, das man als ein vorwiegend politisches betrachtet.2 Im Journal des Débats wird gesagt dass es sich bei jener Verordnung offenbar um la guerre à l'Allemagne est à la langue allemande handele (was ganz falsch ist; die Rumänen werden davon vor Allem betroffen und sollen es werden) und dann heisst es: Qui a dressé, d'après les idiomes la carte des nationalités? Qui a mis à l'ordre du jour la haine de race? Les anciens disaient: Patere legam quam tulisti!
An dem wackern Giacomino nehme ich viel Interesse; ich wünschte ihm einen freieren Spielraum für seine Kräfte. Wir sind zwar über die Deutung der baskischen Verbalformen nicht ganz einig, aber ich hoffe dass wir auch darüber einmal uns früher oder später einigen werden
Mit herzlichem Grusse
Ihr ganz ergebener
H. SCHUCHARDT
2 Hugo Schuchardt: Sind unsere Personennamen übersetzbar?, Graz, 1895 (Brevier-/Archivnr. 290).
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca dell'Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana www.lincei.it. (Sig. B76_4)