Hugo Schuchardt an Graziadio Isaia Ascoli (126-B76_11)

von Hugo Schuchardt

an Graziadio Isaia Ascoli

Graz

25. 08. 1895

language Deutsch

Schlagwörter: language Ungarischlanguage Französisch Giacomino, Claudio Mistral, Frédéric Herkulesbad Österreich Trient Gotha Beksics, Gustave (1895)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Graziadio Isaia Ascoli (126-B76_11). Graz, 25. 08. 1895. Hrsg. von Klaus Lichem und Wolfgang Würdinger (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1270, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1270.


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Graz 25 Aug. 95.

Verehrter Freund,

Ehe ich nach Herkulesbad reise, wo ich einige Wochen zuzubringen gedenke, erwidere ich Ihren Brief vom 28. v. M.

Ich gestehe offen dass mir die Freude, Korrespondent des Istituto Lombardo zu sein, durch Ihren Austritt in ausserordentlichem Masse geschmälert ist.1 Es ist mir übrigens lieb dass ich die Ursache dieses |2| Austritts - ich schweige selbstverständlich gegen Jedermann darüber - wenigstens im Allgemeinen erfahren habe; ich werde in Zukunft mich nicht darum bemühen die persönliche Bekanntschaft von L.2 zu machen, wenn ich Ihm auch, in Erwiderung seiner vielen litterarischen Gaben, vorkommenden Falles Schriften von mir zusenden werde. Ist Giacomino irgendwie bei der Sache betheiligt? Er ist ja wohl ein Verwandter von L.?3

Was die "Irredenti" anlangt, so bemerke ich zunächst dass mir von selbst der Gedanke kam |3|, in Mágiari sei der Akzent ein italienischer, obwohl nicht das Bedürfnis der Unterscheidung wie in cómpito u.s.w. vorliegt. Aber warum nicht cecchi schreiben? das e ist ja kurz. Über das Wesentliche hätte ich so viel mit Ihnen zu sprechen! Die magyaro-rumänische Sprache ist neuerdings behandelt worden von G. Beksics, zunächst in magy. Sprache, dann auch in franz., - ich kann augenblicklich nicht den Verleger angeben.4 In der Münchner Allgemeinen Zeitung las ich kürzlich einen Aufsatz in rumänischem Sinne, einen andern "Der Dako-romanismus" in magyarischem. - Die Deutschen |4|Oestreichs sind viel italienerfreundlicher als Sie denken. Am Wenigsten die Clerikalen, aber das ist ja in allen Ländern das Gleiche. Gehen Sie zu Ihren stammverwandten Provenzalen! Als ich bei Mistral frühstückte, liess sich irgend ein armer italienischer Bursche mit seiner Musik vor dem Fenster vernehmen - das war dem Dichter der Mirèio Anlass genug, um seinem Grimm gegen die Italiener Luft zu machen. Nirgends herrscht unter den Deutschen irgend welche Antipathie gegen die Italiener, wie doch vielfach gegen die Slawen. Vom Kaiser und den Erzherzögen angefangen spricht |5| alles mit wirklicher Vorliebe Italienisch - wo dessen Kenntnis einmal vorhanden. Es würde für die Italiener Alles geschehen, sie würden ihre Universität erhalten u.s.w., wenn nicht eben dasjenige was Sie ja selbst bezüglich des Trentino andeuten, im Hintergrunde läge. So kann schliesslich die Politik selbst bei der Entscheidung solcher Fragen den Ausschlag geben, der sie eigentlich fremd bleiben sollte, wie z.B. der in dem beigelegten Zeitungsblatt besprochenen.

Mit herzlichstem Grusse

- in grosser Eile -

Ihr ergebener

H. SCHUCHARDT

Briefe würden mich während des Septembers in Herkulesbad, später in Gotha treffen.


1 Vgl. 125-00299, Anm.1.

2 Lattes.

3 Schuchardt bringt hier etwas durcheinander; vgl. auch 131-00303.

4 Gustav Beksics: La question roumaine et la lutte des races en Orient, Paris, 1895. Der Verleger ist Léon Chailly.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca dell'Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana www.lincei.it. (Sig. B76_11)