Octavio Hermann Schroeder an Hugo Schuchardt (07-10253)

von Octavio Hermann Schroeder

an Hugo Schuchardt

Bex

25. 10. 1885

language Deutsch

Schlagwörter: Académie françaiselanguage Französisch Wiesbaden Baden-Baden Graubünden Brüssel Montreux Paris Hamburg Buenos-Aires Italien Wolf, Michaela (1993) Schuchardt, Hugo (1884)

Zitiervorschlag: Octavio Hermann Schroeder an Hugo Schuchardt (07-10253). Bex, 25. 10. 1885. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2024). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.12325, abgerufen am 18. 04. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.12325.


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Bex (Canton de Vaud) 1
25 October 85.

Mein werther Herr Professor,

Als ich gestern im Lesezimmer unseres Hôtels das Pariser Journal „Le Temps“ durchblätterte, fand ich in einem Aufsatz über die letzte Sitzung der Académie française, daß Sie mit einer Arbeit über die philologie comparée2 den Prix Volney errungen haben. Diese Mittheilung kam mir doppelt erwünscht, da sie mich daran erinnert, daß ich noch eine Briefschuld an Sie abzutragen habe. Unsere Correspondenz stockt seit ungefähr zwei Jahren3 und meine Frau behauptet daß ich der rückständige Theil sei. Ich hoffe einige Entschuldigung bei Ihnen gefunden zu haben durch mein Leiden, das mich in den letzten Jahren noch mehr gequält hat als sonst. Ich habe mich entschließen müssen, |2| mein Senatsamt aufzugeben und behalte nur auf Wunsch meiner Collegen die Stellung im Deutschen Bundesrathe bei. Der Rücktritt ist mir sehr sauer geworden. Um mich zu zerstreuen, ging ich mit meiner Familie, im Winter nach Wiesbaden, im Frühjahr nach Baden-Baden, dann nach Flims in Graubünden, von dort nach Scheveningen, dann auf 14 Tage nach Brüssel und jetzt bin ich seit Anfang October hier in Bex. Wie immer urplötzlich ist auch dieses Mal mit dem Tage meiner Ankunft hierselbst eine Besserung eingetreten, welche rapide Fortschritte macht und mich mit neuer Lebenslust erfüllt. Einen großen Antheil daran schreibe ich dem Aufenthalt in dieser tröstlichen Landesruhe (??) bei und dem Wohlgefallen, mit dem mich Landvolk, Sitten und Ruhe erfüllen. Genug, ich athme wieder auf und erwarte dauerndes Wohlbefinden von der Arbeitsfreiheit oder richtiger von der Abschüttelung der Arbeitshetze.

In einigen Tagen müssen wir – ich reise mit Frau und beiden Töchtern – von hier aufbrechen, |3| da das äußerst gemüthliche Hôtel, das wir bewohnen, für die Wintermonate geschlossen wird. Wir gehen dann nach Montreux, um dort die Wintermonate zu verbringen und hoffe in dem Hôtel Lorius4 eine gute Wahl getroffen zu haben. Margarethe wird dort eine Erziehungsanstalt besuchen, um tüchtig Französisch zu lernen, und wohin wir dann im Frühjahr unsere Schritte richten, ist ungewiß, vielleicht nach Paris und dann zurück nach Hamburg.

Und nun genug von uns. Wie sieht es denn bei Ihnen aus? Daß Sie tüchtig bei der Arbeit sind, darüber belehrt mich die Krönung mit dem Academiepreise5. Herzlichen Glückwunsch zu dieser Auszeichnung, von den Meinigen nicht minder als von mir! Hoffentlich geht es auch im Uebrigen mit Ihrer Gesundheit gut, worüber eine schriftliche Bestätigung uns sehr erfreuen würde. Prächtig wäre es, wenn Sie uns in unserem Dolce far niente in Montreux einmal aufsuchen wollten. Sie pflegen ja auch im Winter oder wenigstens im Frühjahrsgrauen solche |4|Ausflüge zu unternehmen. Im März soll es in Montreux sehr schön sein, im April oft schon zu warm, so daß wir dann wahrscheinlich nach Bex zurückkehren, um dann im Mai das Pariser Frühjahr aufzusuchen.

Frl. Probst6 hat Ihnen ihre Verlobung selbst mitgetheilt. Sie macht wahrscheinlich im Januar Hochzeit und geht dann wahrscheinlich ?? zunächst nach Antwerpen, später nach Buenos Ayres. In Scheveningen und Brüssel war sie mit uns. Tavasy (??) nimmt immer noch eine vornehme Stelle in unsern Reiseerinnerungen ein, nicht am Wenigsten der Moment als Sie eines Abends beim Thee plötzlich ins Zimmer traten. Das Unglück, welches Vettau (??)7 betroffen hat, werden Sie gewiß auch mit Theilnahme erfahren haben. In der Fremdenliste dieses Sommers war wieder der Cultusminister Gossler8 zu lesen, auf Meyerheims9 ?? ich nicht ein. Krüger10 ist leidend und wird wie ich höre den ganzen Winter in Italien zubringen.

Aber nun genug. Frau und Tochter grüßen aufs Herzlichste und bitten mit mir um die Fortdauer Ihrer Gewogenheit.

Ihr sehr ergebener
Schroeder.


1 Bex ist eine politische Gemeinde im Distrikt Aigle des Kantons Waadt (Vaud) in der Schweiz. Der ehemalige deutsche Name Beis wird heute nicht mehr verwendet. – Wolf, Nachlaß, 345 löst den Namen nicht auf und gibt stattdessen als Absendort „O. O.“ an!

2 Schuchardt erhielt den Prix Volney für sein BuchSlawo-deutsches und Slawo-italienisches.

3 Der letzte erhaltene Brief ist zu diesem Zeitpunkt Nr. 10252 vom 31.12.1882.

4 Zweitname: „Deutscher Hof“.

5 Gemeint ist der „Prix Volney“, den Schuchardt 1885 für sein Buch Slawo-deutsches und Slawo-italienisches erhielt.

6 Anita Probst (1858-1944) wurde am 27.1. 1858 in Brooklyn geboren, lebte später nach ihrer Eheschließung mit Hendrik Theodor Brauss (1851-?) in 's-Gravenhage eine Zeitlang in Hamburg; ihre Korrespondenz mit Schuchardt findet sich unter HSA 09034-09036.

7 Nicht identifiziert.

8 Gustav von Goßler (1838-1902), 1881 bis 1891 Preuß. Kultusminister.

9 Paul Friedrich Meyerheim (1842-1915), deutscher Maler.

10 Nicht identifziert.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10253)