Władysław Nehring an Hugo Schuchardt (02-07748)
an Hugo Schuchardt
03. 11. 1883
Deutsch
Schlagwörter: Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung (Kuhns Zeitschrift) Sprachkontakt (allgemein)
Tschechisch
Polnisch
Litauisch Bernd, Chr. Sam. Theodor (1820)
Zitiervorschlag: Władysław Nehring an Hugo Schuchardt (02-07748). Breslau, 03. 11. 1883. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.12129, abgerufen am 14. 11. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.12129.
Bresl. d. 3.XI.83.
Verehrtester Herr College!
Ich habe Ihren Brief vom 13. Oct. seiner Zeit erhalten und ich bitte Sie um Verzeihung für die Verzögerung der Antwort, welche ich Ihnen garn bald hätte zukommen lassen, wären mir die Bücher und Abhandlungen zur Hand gewesen, welche Sie erwähnen. Bernd’s Deutsche Sprache in Posen und Polen 1820 ist mir bis jetzt nicht gelungen zu Gesicht zu bekommen1, auch die Nummer der „Heimath“2, in welcher vor Kurzem ein Aufsatz verwandten Inhalts erschienen sein soll, konnte ich nicht einsehen. Dagegen habe ich jetzt auf Ihre Anregung hin die Aufsätze Beyersdorffs (Dr. med.) „Slavismen im Deutschen“ im Rübezahl 1868 u. 1871 wieder gelesen3. Die Zeitschrift „Slesische Provinzialblätter“ erhielt 1868 den Haupttitel „Rübezahl“ (herausgegeben von Oelsner) und erschien bis zum Tode des Redakteurs, welcher vor einigen Jahren erfolgt ist.4 Ich werde möglicherweise im Stande sein, die betreffenden Hefte |2| der genannten Zeitschrift Ihnen zuschicken zu können oder veranlassen, daß Ihnen, wenn Sie es wünschen, die betreffenden Bände von unserer Universitätsbibliothek zugeschickt werden. Die zwei Aufsätze des Dr. Beyersdorff (der 1871 erschienene auf 3 Hefte sich hinziehende ist eine Fortsetzung des im October bis Decemberheft 1868 erschienenen Aufsatzes) sind nur lexikalischen Inhalts, verdienen aber die Beachtung des Sprachforschers im hohen Grade, weil auch solche Worte wie Liste (Verzeichniß aus sl. List), Mauth, miethen (sl.myto) u. dgl. darin besprochen werden. Lexikalisches aus Schlesien und derselben Sphäre bot ein Aufsatz Weinholds (geschrieben in Graz) im ersten Band der Kuhn-Aufrecht’schen Zeitschrift für Sprachvergleichung.5
Was nun die von Ihnen besprochene Verunstaltungen des Deutschen im slavischen Munde betrifft, so habe ich auf den beiden Zetteln, die ich Ihnen Ihrem Wunsche gemäß zurückschicke6, den mir bekannten Befund notirt. – Zu den in Ihrem freundlichen Schreiben zur Sprache gebrachten Eigenthümlichkeiten des Czechischen will ich |3| bemerken, daß die Umstellungen, wie sein me, bin i u. ähnl. im Polnischen wohl nicht vorkommen dürften; auch meinig (f. mein) fehlt in dem Nothdeutsch der Polen; auch die Partizipialbildungen wie er hat kriege od. er hat bringte ist meines Wissens den deutsch sprechenden Polen nicht bekannt. Haben diese und ähnliche Eigenthümlichkeiten nicht ihre Quelle in irgend einem dialektischen (oder verdorbenen) Deutsch in Österreich oder vielleicht in Böhmen, das von Deutschen selbst gesprochen wird? Einige von ihnen lassen sich kaum durch den Einfluß des Czechischen erklären.
Witzblätter mit polono-deutschem Jargon werden meines Wissens an polnischen Druckorten nicht herausgegeben, Theaterstücke mit solchem Deutsch sind mir nicht bekannt.
In Bezug auf Ihre letzte Frage: welche Wörter schaltet wohl der Pole am liebsten in die deutsche Rede ein? könnte im Allgemeinen gesagt werden, daß er aus Verlegenheit verschiedene Wörter aus dem Polnischen entlehnt, für die er kein Äquivalent im Deutschen findet z. B. flakis (ein Gericht), bigos (desgl.), gleich- |4| sam ein Gegengeschenk für żur (sauer) und bartzez, welches auch ins Litauische (barštis) eingedrungen ist (aus barsch), beides ebenfalls Gerichte.
Mit den besten Empfehlungen
Ihr
ganz ergebener
Nehring
1 Die deutsche Sprache in dem Großherzogthume Posen und einem Theile des angrenzenden Königreiches Polen: mit Vergleichungen sowol der Mundarten, als auch anderer Sprachen, und mit eigenen Forschungen / Von Chr. Sam. Theodor Bernd, Bonn: Weber, 1820.
2 Zeitschrift nicht identifiziert.
3 Der genaue Titel lautet „Ueber Slavisches im Deutschen. Beiträge zu einem Idiotikon“ von Dr. Beyersdorff (kein Vorname), Aufsatz in drei Folgen des Rübezahl.
4 Theodor Oelsner (1822-1875) stammte aus Breslau und war Schriftsteller und Redakteur; er war Altliberaler und trat später der Nationalliberalen Partei bei.
5 Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete des Deutschen, Griechischen und Lateinischen. Der Artikel selbst konnte nicht nachgewiesen werden.
6 Nicht (mehr) beigefügt.
