Julius Lott an Hugo Schuchardt (01-06659)
von Julius Lott
an Hugo Schuchardt
23. 05. 1902
Deutsch
Schlagwörter: Weltausstellung Internationale Verständigungssprache Volapük
Esperanto
Langue bleue (Bolak)
Zitiervorschlag: Julius Lott an Hugo Schuchardt (01-06659). Wien, 23. 05. 1902. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.12115, abgerufen am 16. 07. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.12115.
Wien am 23. Mai 1902.
Euer Hochwohlgeboren!
Wie es Euer Hochwohlgeboren bekannt ist, hat sich in Frankreich eine Comission gebildet, die sich die Einführung einer Verkehrssprache zur Aufgabe stellt und Gelehrte, Akademien … für diese wichtige Frage zu interessiren sucht. Zur Zeit der Pariser Weltausstellung habe ich mir die redlichste Mühe gegeben, die Weltsprachenidee neu zu beleben und mein Büchlein „Un lingue international“, das selbstverständlich nur die Art der Lösung andeuten soll, in vielen Exemplaren dort verbreitet.
Ich bin von der Nützlichkeit und Möglichkeit einer allgemeinen Sprache für die Culturvölker fest überzeugt, wenn es nur gelingt, einen bestimmten Weg zur Lösung vorzuzeichnen und Zustimmung anerkannter Autoritäten zu gewinnen. Ohne Zweifel ist es möglich, höchst vollkommene Kunstsprachen nach dem Muster des Volapük, Esperanto, la langue bleue etc. aufzustellen, allein diese Art der Lösung ist so vielseitig und willkürlich, dass ein Abschluss der Arbeiten und eine Einigung nicht zu erzielen ist. Die Cultursprachen besitzen so viele gemeinsame Berührungspunkte, die fast alle im Latein fussen, somit auf einer neutralen, unverrückbaren Grundlage, dass es gewiss nicht |2| allzu schwierig ist, mit Benützung des Gemeinsamen, meist Bekannten ein modernes, vereinfachtes, lexikalisch erweitertes Latein als Verkehrssprache zu schaffen. Das umfangreiche, unanfechtbare, internationale Material genügt fast schon, die Gebildeten sprachlich zu verbinden. Ich verkenne die grossen Schwierigkeiten nicht, aber auf diese Art lässt sich für jeden Begriff für jede grammaticalisirte Form der beste und einfachste Ausdruck finden, freilich kann diese Arbeit nicht von einem Einzelnen in aller Vollkommenheit durchgeführt werden. In erster Linie handelt es sich doch bei einer solchen Sprache dass sie leicht zu erlernen und zu handhaben ist und das wird doch am sichersten erreicht, wenn dem Gedächtnisse viel freie Stützpunkte geboten werden, die dem Gebildeten bereits geläufig sind.
Es ist ein zeitraubendes und undurchführbares Unternehmen alle Akademien und Universitäten für die Weltspracheidee zu gewinnen, es genügt vollkommen, wenn einige hervorragende Gelehrte sich zu Gunsten des eingeschlagenen Weges aussprechen. Wenn es gelänge, in Österreich eine Weltsprachegesellschaft zu gründen, die im Vereine mit Frankreich das gleiche Ziel anstrebte, so wäre die Lösung bedeutend näher gerückt. |3| Nach meiner Ansicht sollte zuerst der internationale Theil des Wörterbuches in deutscher, englischer, französischer …. Sprache und in der Weltsprache aufgestellt werden z. B.
Abandon(e); Verlassen, Aufgeben, Preisgeben; abandonment; abandon; abbondono; abondono …; -az; verlassen, im Stich lassen, preisgeben, fahren lassen; to abandon; abandonner; abbandonar; abandonare …Oder man verfasst der Einfachheit wegen zuerst den deutschen Theil mit den nothwendigsten Ausdrücken z. B. Aal anguille. Aas cadaver(e); - ig cadaveros. Abänderlich alternabil(i), modificabil(i), deslinabil(i); -dern alterar, modificar, delinar; -derung modification(e), declination(e).
Diesem Wörterbuche, als dem wichtigsten Theile wird die einfache, möglichst regelmäßige Grammatik angepasst; denn viele Fragen der Grammatik finden schon durch das Wörterbuch ihre Lösung. Dann hat sofort die Correspondenz z.B. zwischen Österreichern und Franzosen in dieser Sprache zu beginnen, denn die Praxis bringt die nothwendige Erfahrung und Verbesserungen und wirkt auch am meisten überzeugend auf die Ungläubigen. Eine Zeitschrift mit tüchtigen Mitarbeitern, wird dann bald das neue Sprachwerk ergänzen und vervollkommnen.
Ohne thatsächlichen Vorschlag, wenn er auch nicht ganz unbekrittelbar ist, dürfte ein Erfolg nicht zu schaffen sein.
Mit aller Hochachtung
Euer Hochwohlgeboren
Ergebenster
Julius Lott