Hugo Schuchardt an Graziadio Isaia Ascoli (078-B5_209)

von Hugo Schuchardt

an Graziadio Isaia Ascoli

Wien

03. 10. 1886

language Deutsch

Schlagwörter: Internationaler Orientalistenkongress Kongresse und Versammlungen Gesundheit Weber, Albrecht Mussafia, Adolf Lignana, Giacomo Graz Wien Ascoli, Graziadio Isaia (1886–1888)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Graziadio Isaia Ascoli (078-B5_209). Wien, 03. 10. 1886. Hrsg. von Klaus Lichem und Wolfgang Würdinger (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1206, abgerufen am 07. 12. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1206.


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Wien 3 Okt. 1886

Verehrter Freund,

Es hat mir zu besonderer Ehre und Freude gereicht auf dem Kongress in Ihrem Namen einige Worte sagen zu dürfen; auch danke ich dem dass ich mich doch nicht ganz nutzlos unter den Orientalisten umhergetrieben habe. A. Weber1 erkannte vollständig an dass vorläufig eine Einigung über die Transkription nicht durchzuführen sei; er schloss mit den Worten "Schwamm darüber!"2

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Der Kongress hat sich, äusserlich wenigstens, des schönsten Gedeihens zu erfreuen gehabt; ein warmes, fast orientalisches Klima begünstigte uns. Aber man ist vor Essen, Trinken, Verabredungen, Hin- und Herlaufen u.s.w. gar nicht zu sich selbst gekommen; ich habe keine halbe Stunde auf meinem Zimmer gesessen und so keine Zeit oder vielmehr nicht die ruhige, behagliche Stimmung gefunden, die Poscritta zu lesen. Aus Graz wohin ich morgen zurückkehre, gedenke ich Ihnen ausführlich darüber zu schreiben. Mussafia hatte sich schon hineinvertieft; er begann mir davon zu sprechen, aber mir scheint für den Augenblick unter dieser kolossalen Auf|3|häufung von Wissenschaft jedes wissenschaftliche Spezialinteresse abhanden gekommen zu sein. Entschuldigen Sie mich, Sie haben wohl einen allgemeinen Begriff von meiner nervösen Organisation die seit langen Jahren eine derartige wirbelnde Woche nicht durchzumachen hatte.

Dass Sie nicht hier waren! Alle die Ihnen persönlich oder wissenschaftlich nahe stehen, haben es bedauert. Welche merkwürdige Skrupel sind in Ihrem letzten Briefe angedeutet! Der gute alte Lignana war entzückt von Wien und gab dem in einem begeisterten Toaste |4|Ausdruck.

Ich danke Ihnen noch herzlichst und bitte wegen des Erwähnten von Neuem um Nachsicht.

Mit bestem Grusse
Ihr ergebenster

H. SCHUCHARDT


1 Albrecht Weber (1825 - 1901), Orientalist.

2 Vgl. dazu: Verhandlungen des VII. internationalen Orientalisten-Congresses, Wien, 1888 , 79: "Prof. H. Schuchardt überreicht im Auftrage des Prof. G. Ascoli in Mailand dessen neue Schrift 'Due recenti lettere glottologiche e una poscritta nuova'. Zugleich vermittelt er das Bedauern Ascoli's, dass er dem ihm und Joh. Schmidt auf dem Berliner Congresse ertheilten Auftrag bezüglich des Vorschlages zu einem Transcriptionssystem nicht habe nachkommen können. Hiezu sprechen die Professoren R. von Roth und A. Weber. - Prof. Weber wies auf die grossen Schwierigkeiten, ja die Unmöglichkeit hin, zu einer Verständigung über ein ge­meinschaftliches System der Transcription zu gelangen, und beantragt daher, den beim Berliner Congress Seitens der Section den Herren Ascoli und Joh. Schmidt ertheilten diesbezüglichen Auftrag zu cassiren."

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca dell'Accademia Nazionale dei Lincei e Corsiniana www.lincei.it. (Sig. B5_209)