Hugo Schuchardt an Adolf Noreen (07-04333)

von Hugo Schuchardt

an Adolf Noreen

Göteborg

12. 07. 1904

language Deutsch

Schlagwörter: Falk, Hjalmar Torp, Alf Uppsala Graz Noreen, Adolf (1895) Falk, Hjalmar Sejersted/Torp, Alf (1910) Falk, Hjalmar Sejersted/Torp, Alf (1911) Jessen, E. (1893) Feilberg, Henning Frederik (1866–1911) Tamm, Frederik August (1890–1905) Rietz, Johan Ernst (1867) Nathorst, Alfred Gabriel (1903) Helms, Svenn Henrik () Fischerström, Johan (1781)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Adolf Noreen (07-04333). Göteborg, 12. 07. 1904. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.11960, abgerufen am 19. 05. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.11960.


|1|

Grand Hôtel
Göteborg den 12 Juli 1904.

Hochgeehrter Herr Kollege,

Indem ich, morgen, Schweden verlasse, möchte ich Ihnen mein Bedauern ausdrücken Sie in Upsala nicht mehr vorgefunden zu haben, also Ihren vor langen Jahren in Graz gemachten Besuch nicht haben erwidern zu können. Mein Bedauern ist freilich sehr eigennütziger Art; ich hatte gehofft mich über Vieles, was mich beschäftigt, |2| aufzuklären. Ich habe mich während der wenigen Wochen die ich Schweden zubrachte, durch fleissige Lektüre mit dem Schwedischen vertraut gemacht, und meine diesbezüglichen Erfahrungen und Erlernungen, so zu sagen meine individuellen Spracherlebnisse könnten nur als Substrat mündlicher Unterhatung dienen.*) [*) Ich kaufte mir kürzlich Ihre beiden Bände: Spridda Studier;1 sie werden wohl auf manche der Fragen die in mir aufgestiegen sind, Antwort geben]. Anderes hingegen läßt sich auch brieflich erledigen, und das bringe ich nun hier zur Sprache. Bei meinen etymologischen Untersuchungen muss ich nicht selten die nordischen Sprachen zu Rate ziehen, und da schaut es dann nicht ganz schlecht mit den Hülfsmitteln aus. Das Wörterbuch von Falk und Torp2 wird mir das kleine von Jessen3 ersetzen und aus dem jütl. von Fejlberg4 denke ich auch manchen Nutzen zu ziehen. Ich bedauere dass Tamms Wtb.5 so langsam vorwärts schreitet, freue mich aber doch dass es – woran ich bis vor Kurzem zweifelte – überhaupt fortgesetzt wird. Aber über die Mundarten Schwedens fehlt es wohl noch sehr an lexikalischem Material? Das Wb. von Riez sah ich nur ganz flüchtig ein,6 und konnte mich nicht vergewissern bis zu welchem Grade es für meine Studien brauchbar wäre; immerhin suchte ich es mir zu verschaffen, aber Klemming in St. hatte es nicht.7 Was in der Zeitschrift (gibt sie Lundell8 noch heraus?) in dieser Hinsicht steht, ist da wohl zu zerstreut um von mir in Betracht gezogen werden zu können; auch schaffe ich mir zwar alle möglichen Bücher an, aber keine Zeitschriften wenn sie nicht im grossen Ganzen in der Richtung meiner Studien liegen. Hingegen würden solche Veröffentlichungen wie |3| Snudéns Allmogelifret en Nestergötasocken (?? 9) das ich neulich, mehr aus Zufall kaufte, mir Dienste zu Leisten vermögen; ich weiss nicht wie viel von solchen vorhanden ist. Es kommt mir nämlich sehr auf die Fachausdrücke an, z. B. auf die Pflanzennamen. Ich habe mir Nathorst Svenska Växtnamn10 angeschafft, bin aber einigermassen enttäuscht, indem der mundartliche Sprachgebrauch nicht berücksichtigt zu sein scheint. Der erste Versuch den ich mit diesem WB. machte schlug fehl. Ich fand in meinem Schwed.- d. Wtb. von Helms11 (das mich übrigens auch sehr oft im Stich lässt) alster*), Spindelbaum. Nathorst hat diesen Namen auch in den Anmerkungen nichts [Helms gibt im andern Teil: Spindelbaum vindspelbom, - das ist natürlich kein „Baum“ im botanischen Sinn]. Mehr als an allem Andern liegt mir an den Benennungen der Fischereigeräte, bes. für Netze und Netzteile; denn diese interessieren mich ganz abgesehen von ihre, etwaigen Zusammenhang mit romanischen, oder noch deutlicher gesagt, hier interessieren mich auch die Dinge als solche. Ich war gestern in Marstrand12

*) ist das etwa = jolster "Weide"? |4| um mir die Fischereiausstellung anzusehen, und lernte dabei Herrn Fischereiinspektor Trybom13 aus Stockholm kennen, der mir behülflich zu sein versprach. Aber zu voller Befriedigung meiner Wünsche wird es wohl nicht reichen. Es ist das ein sehr vernachlässigtes Gebiet, konnte ich doch, trotz allen Nachfragens, in Stockholm Niemanden auftreiben der mir über Einzelheiten im Fischereimuseum Auskunft hätte geben können. Es scheint sich geradezu Niemand um dasselbe zu kümmern. Die Fischereiausdrücke scheinen nun nach den Gegenden recht verschieden zu sein; z. B. das Wort känsa, die Angelschnur an der Grundleine (mein Wtb. kennt es gar nicht) [ist] nicht überall bekannt. Vielleicht finden sich dergleichen Wörter gebucht in gewissen Wörterbüchern allgemeinen Charakters, etwa in Fischerströms Nya Svenska Economiska Dictionnaire?14 – Ich breche hier ab, das Schreiben wird mir auch da ich etwas angegriffen bin, einigermassen sauer. Haben Sie doch die Güte mir einmal nach Graz, wo ich in einigen Wochen wieder eintreffen werde, ein paar Zeilen in diesen Angelegenheiten zu schreiben.

Mit verbindlichstem Gruss

Ihr erg.

HSchuchardt


1 Adolf Noreen, Spridda studier, populära uppsatser, Stockholm: Gebers, 1895 u. ö.

2 Hjalmar Sejerstedt Falk u. Alf Torp, Norwegisch-dänisches etymologisches WörterbuchBand 1 und Band 2, Heidelberg: Winter, 1910, (hier ist wohl eine frühere Ausg. gemeint).

3 Edwin Jessen, Dansk etymologisk ordbog, Kjøbenhavn: Gyldendalske Boghandel, 1893.

4 H. J. Fejlberg, Bidrag til en ordbog over jyske almuesmål, København: Thieles Bogtrykkeri, 1904.

5 Fredrik August Tamm, Etymologisk svensk ordbok, Uppsala: Berling, 1890-1905.

6 Johan Ernst Rietz, Svenskt dialektlexikon, B.A. Cronholm, 1867.

7 H. Klemming, Verlagsbuchhandlung Stockholm (keine näheren Angaben).

8 Johan August Lundell (185-1940), schwedischer Linguist an der Univ. Uppsala.

9 Titel bibliothekarisch nicht identifiziert.

10 Svenska växtnamn. Historisk öfversikt, kritiska anmärkningar, förslag till metod, Stockholm: Norstedt, 1903 (Kungliga Svenska Vetenskapsakademien: Kungliga Svenska Vetenskapsakademiens handlingar. Bihang).

11 Svenn Henrik Helms, Neues vollständiges schwedisch-deutsches und deutsch-schwedisches Wörterbuch nebst einem kurzen Abrisse der Formenlehre beider Sprachen, Leipzig : Holtze Nachf., 1904.

12 Kleine Schäreninsel in der Gemeinde Kungälv im Süden von Bohuslän.

13 Filip Trybom (1850-1913); vgl. HSA 11894 (Wolf, Nachlaß, 79) bezeichnet ihn als „Entomologen“.

14 Johan Fischerström, Nya swenska dictionnairen. Eller Försök til et almänt och fullständigt lexicon, i swenska hushållningen och naturläran, Stockholm: Tryckt i Kumblinska tryckeriet, 1781, 1-4.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv“ erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Universität Uppsala. (Sig. 04333)