Siegfried Lederer an Hugo Schuchardt (01-06287)
an Hugo Schuchardt
27. 12. 1887
Deutsch
Schlagwörter: Volapük Meyer, Gustav Schuchardt, Hugo (1888) Meyer, Gustav (1893) Schleyer, Johann Martin (1885)
Zitiervorschlag: Siegfried Lederer an Hugo Schuchardt (01-06287). Wien, 27. 12. 1887. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.11703, abgerufen am 20. 07. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.11703.
Wien, den 27. Dez. 87.
Hochverehrter Herr Professor!
Gestern habe ich Ihr Büchlein „Auf Veranlassung des Volapüks“ in die Hand bekommen.1 Es hat mir eine rechte Weihnachtsfreude bereitet, und Sie werden es dem Ihnen unbekannten Philologen nicht übel nehmen, wenn er Ihnen den Ausdruck seines herzlichen Dankes übermittelt und Ihnen im Geiste die Hand drückt. So recht aus der Seele ist mir dieses Buch geschrieben. Es räumt auf mit der Unwahrheit und Selbstbelügung; es schreitet muthig in den Kampf gegen hundertjährige Vorurtheile, aber es vernichtet nicht nur, sondern es weist auch auf den Weg der Besserung hin. Und das alles in klarster, |2| goldig gediegener Darstellung, leidenschaftslos, aber gestützt und getragen von mächtiger, wissenschaftlicher Gründlichkeit und Überzeugungstreue. Das Buch hat eine Zukunft, ich hoffe, auch bald eine Gegenwart. Sonst müsste die Wahrheit zum erstenmale der Lüge weichen, die Unvernunft endgültig über die Erkenntnis des richtigen triumphieren.
Welche Stellung Sie, hochverehrter Herr Professor, zu Volapük einnehmen, weiß ich nicht zuverlässig. Aus Ihrer Schrift scheint man auf eine zuwartende, aber mehr wohlwollende Haltung schließen zu dürfen. Und nun muß ich zum zweitenmale für die Kühnheit des offenen Wortes um Verzeihung bitten. Thuen Sie ganz, was Sie so gewaltig begonnen haben. Ich bin aus einem Spötter ein ernster Vertreter des Volapük geworden, was Ihnen hoffentlich das mitfolgende Büchlein |3| bestätigen wird. Der Fluch der Lächerlichkeit hat mich nicht geschreckt, wie er es auch bei Ihnen nicht vermag. Ist ja gerade von Graz aus von Prof. Dr. Gustav Meyer ein heftiger Angriff gegen Volapük in der „Neuen freien Presse“ veröffentlicht worden.2 Die Widerlegung war mir durch Veröffentlichung eines italienischen Artikels in demselben Blatte wenigstens indirekt vorbehalten. Es scheint mir also doppelt bemerkenswert,dass von Graz ein schneidender Hieb gegen die Sache von einer Autorität geführt wurde, den eine zweite Autorität in Graz vollständig zu heilen berufen war.
In Ihrer Schrift traten Sie, hochverehrter Herr Professor, der Sache im Allgemeinen nahe; im Interesse der Wissenschaft wage ich Sie zu bitten, Sie möchten Ihre Schaffenskraft auch dem Besonderen zuwenden. Noch fehlt uns ein bedeutender Philologe, der, mit |4| dem nöthigen Wissen ausgerüstet, mit Hand anlegt an das monumentale Werk, welches Zeugnis ablegen soll von der völkerverbindenden Kraft des Menschengeistes, einer Kraft, die sich nie glänzender offenbarte, als in unserem Jahrhundert. Volapük hat seine Fehler und Schwächen; Gelehrte Ihrer Art sind die Ärzte, die mit kluger Hand eingreifen, operieren und ansetzen müssen, ehe tödliche Erstarrung eintritt. Noch ist die Sprache nicht ausgebaut, die Krone des Werkes, das internationale Wörterbuch, weist klaffende Lücken und blutende Schwächen auf.3 Jetzt kann noch geholfen werden. Wenn es nicht der Mann der Wissenschaftthut, der Sprachgelehrte, dann würde es, wie es thatsächlich geschieht, der gutgemeinte, aber ungeschickte Wille des gewöhnlichen Mannes, des Eisenbahnbeamten, des Telegraphisten, des Wundarztes, versuchen; der Usus, der sich begierig |5| des kaum Fertiggestellten bemächtigt, tritt hinzu, und statt vorwärts zu schreiten, stirbt die Frage an den vielen Kurpfuschereien wohlwollender, aber unerfahrener Männer.
Mein Brief ist länger gerathen, als ich beabsichtigte, vielleicht auch durfte. Halten Sie ihn einem gleichstrebenden Berufsgenossen zu Gute, oder, wenn auch jünger und nicht ausgerüstet mit jener Beredsamkeit und zündenden Überzeugungskraft, wie Sie aus Ihrer Schrift spricht, dem gleichen Ziele zustrebt, wie Sie: der Wahrheit und dem berechtigten Fortschritt.
In ausgezeichneter Hochachtung
Ergebenst
DrSiegfried Lederer.
1 Schuchardt, Hugo (1888). Auf Anlass des Volapüks. (Schuchardt-Werk Nr.206).
2 Vgl. dazu: Gustav Meyer, „III. Weltsprache und Weltsprachen“, abgedr. in Essays und Studien zur Sprachgeschichte und Volkskunde, Bd. 2, Straßburg: Karl Trübner, 1893, 23-46.
3 Johann Martin Schleyer, Wörterbuch der Universalsprache volapük, Konstanz: Verl. d. Zentralbüro's der Weltsprache, 1885, 3. verm. Aufl.