Johann Jungfer an Hugo Schuchardt (01-05240)
von Johann Jungfer
an Hugo Schuchardt
13. 12. 1907
Deutsch
Schlagwörter: Iberisch Baskisch Schuchardt, Hugo (1907) Schuchardt, Hugo (1900) Michaëlis de Vasconcellos, Carolina (1876) Foerster, Paul (1880) Madoz, Pascual (1845–1850) Rios y RIos, Angel de los (1871) Luchaire, Achille (1879)
Zitiervorschlag: Johann Jungfer an Hugo Schuchardt (01-05240). Berlin, 13. 12. 1907. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.11585, abgerufen am 14. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.11585.
Charlottenburg-Berlin
Schloßstraße 68
13. Dezember 1907
Hochgeehrter Herr Professor,
Empfangen Sie nachträglich meinen verbindlichen Dank für Ihre mir freundlichst übersandte Abhandlung „Die iberische Deklination“1 und entschuldigen Sie, bitte, die Verspätung, die durch Krankheit und andere Störungen veranlaßt ist. Wenn ich mich recht erinnere, war die Sendung nach dem Friedrichsgymnasium adressiert; ich habe aber bereits vor einigen Jahren mein Amt wegen angegriffener Gesundheit niedergelegt, um Zeit und Kraft ganz den spanischen Namenstudien widmen zu können, für die auch Ihre Abhandlung2 mir mannigfache Belehrung und Anregung bot. Darf ich mir zu einigen der von Ihnen erwähnten Namen eine Bemerkung gestatten? Neu war mir u. a., daß in Pamplona nicht mehr das baskische Ortssuffix -ona, une gesehen wird, das u. a. auch Luchaire3annimmt und das in einer Reihe von Ortsnamen erscheint, besonders in der Verbindung mit Personennamen wie Michelaun (Guipúzcoa), meines erachtens auch mit germanischen wie |2|Andicona (cara solar Vizcaya) zu Andic(cus); Letona (Alava) zu Leto oder Leth, Lediz und Lete (Guipúzcoa und Navarra) u. a.
S. 52 nennen Sie „die vom Genetiv eines Personennamens und dem Artikel gebildeten baskischen Familiennamen Loberena, Migelena; doch diese Bildungsweise … steht im Baskischen gegen die Verwendung der Hausnamen als Familiennamen ganz zurück“. – Loperena und Miguelena sind auch Hausnamen in Gipúzcoa, ebenso Lopena, Mardoena, Ramuena und andere, die, soweit ich sehe, germanische Personennamen (Lop-us, Mardo, Ramo) enthalten. Ist aber -en nicht die Endung des Genetiv plur., die des Gen. sing. -aren (Lécluse 42, Campion 179)? Miguel de Unamuno schrieb mir einmal, die Endung -ena sei patronymisch: „Migelena hijo ó descendiente de Miguel“.
Pacheco, worin Sie bask. Pachico sehen, findet sich als ON4 Torre Pacheco in Murcia, das fem.Pacheca in Cuenca. Da die Zahl der in spanischen Ortsnamen fortlebenden gotischen Personennamen überraschend groß ist und 2 -ch im Spanischen leicht wechseln (Michaelis, Stud. z. rom. Sprachsch.5 232: |3| Scheideformen z-ch; Förster, Span. Sprachl.6 156: ch aus deutsch z), könnten nicht auch die Diminutiva Bazeko, fem. Bazeka in Frage kommen? Unveränderte Diminutiva dieses Namens scheinen mir zu sein Bezil und Bazuelo / Oviedo), Becilla (Palencia) = Bezili, -a, Bezolo; Bazoca (Lugo) = Bezoka f., andere Formen desselben, einfache und zusamengesetzte Bazo, Bazan, Beza, Bezana, Bezanes, Bazar, Bezares, Bezmar und Beznar (Madoz, Dicc. geogr.7) Übrigens leitet Rios y Rios, Ensayo sobre los ap. cast.8 210 Pacheco von palaciego ab, „como se dice gallego de Gallecia“.
Velasco kommt mehrfach in Ortsnamen vor: Velasco / Alava, Logroño, Soria), Velasco (Navarra), Belascoain (Navarra), Villavelasco / Leon). Diese Verbreitung eines ursprünglich aquitanischen-baskischen Personennamens (S. 67 der Abh.) erschien mir früher auffällig und ich muß gestehen, daß ich auch hier an germanischen Ursprung, etwa Walahisc dachte; doch ist die Herleitung von Belexco wohl näherliegend und berechtigter. An Walahisc erinnert aber Balasque (Dep. B. Pyr.), 1536 Balasco; jedenfalls sind von gotischen |4| Personennamen gebildete Ortsnamen auch dort nicht zu leugnen wie Amelconde, Gastarrigue (Gastarich), Belescare wohl=
Belesar, das in Galicien häufig Dorfname ist, Bélesten = Bersten, Bidart meiner Meinung nach nicht „zwischen Wegen“, sondern wie Torrebidarte (casa solar Vizcaya) und der spanische Personenname Vidart von Withart; Bézing (so schon 1385), Patronym. Das oben erwähnte Bazo, Bezo entsprechend dem deutschen Ortsnamen Bezinga. Verzeihen Sie die Abschweifung; aber vielleicht interessiert es Sie ein wenig, wie ich mir viele noch nie gedeutete Namen innerhalb des baskischen Sprachgebiets erkläre. Über Amalain (Navarra) geht Luchaire, Etud. 150,9 wie über viele andere, ohne Erklärung hinweg; Oricain (Navarra) deutet er „hoher Ort“ durch uri ig, während Prinz Bonaparte (The Academy, London 1874) darin ori-cai yellow substance / Adject. vor dem Substant.), ein Gewächs Wigtree, Rhus cotinnus sieht. Ich vermute PN. Amal-ain, vergl. Amallo (Vizrayo, Lugo) PN. Horic-ain und glaube, daß in diesen und hunderten von ähnlichen Namen, die ich gesammelt, eine neue geschichtliche Quelle für die Beziehungen der Basken zu den Goten enthalten ist. Darf ich Ihnen vielleicht einmal später ein Manuskript über dies Thema zur Begutachtung einsenden?
Hochachtungsvoll Ihr sehr ergebener
Joh. Jungfer
1 Schuchardt, Hugo (1907). Die iberische Deklination. In: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien. Philosophisch-Historische Klasse H. 157, S. 1-90. Brevier/HSA 528
2 Vermutlich ist gemeint Schuchardt, Hugo (1900). Die romanischen Namen der Glocke. In: Zeitschrift für romanische Philologie H. 24, S. 566-569. Brevier/HSA 365
3 Achille Luchaire (1846-1908), franz. Mittelalterhistoriker und Philologe.
4 „Ortsname“.
5 Vermutlich ist gemeint Carolina Michaelis de Vasconcellos, Studien zur romanischen Wortschöpfung, Leipzig: Brockhaus, 1876.
6 Paul Foerster, Spanische Sprachlehre, Berlin: Weidmann, 1880.
7 Pascual Madoz, Diccionario geografico-estadistico-historico de España y sus posesiones de ultramar, Madrid 1849.
8 Angel de los Rios y Rios, Ensayo histórico etimológico y filológico sobre los apellidos Castellanos desde el siglo X hasta nuestra edad, Madrid: Tello, 1871.
9 Achille Luchaire, Études sur les idiomes pyrénéens de la région française, Paris: Maisonneuve, 1879.