Jacques van Ginneken an Hugo Schuchardt (06-03773)

von Jacques van Ginneken

an Hugo Schuchardt

Maastricht

20. 05. 1911

language Deutsch

Schlagwörter: Kreolischsprachige Literaturlanguage Niederländischlanguage Baskisch Jonker, Johann Christoph Gerhard Straßburg

Zitiervorschlag: Jacques van Ginneken an Hugo Schuchardt (06-03773). Maastricht, 20. 05. 1911. Hrsg. von Bernhard Hurch (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.11437, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.11437.


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Maastricht, 20 Mai, 1911.

Sehr geehrter Herr Hofrat.

Entschuldigen Sie mein langes Schweigen. Auch meine Gesundheit gestattet mir nicht Alles was ich wünschen würde, und dabei kommen noch so viel andere Beschäftigungen! Ich habe in der Zeit vergessen, Sie auf den grundlegenden Artikel Jonkers: Over de „vervoege“ werkwoordsvormen in het Maleisch-Polynesisch in den Bijdragen tot de taal- land- en volkenkunde van Nederlandsch-Indien. Deel 45. 1910 SS. 266-334 aufmerksam zu machen.1 Aber Sie werden das unterdessen schon selbst gefunden haben. Weiter danke ich Ihnen für die freundliche Zusendung Ihrer Separata. Ob „poerselemosie“ für promotie auch eine Streckform sei, wage ich noch nicht zu entscheiden. Es gibt eine Dissertation über Klikspaan’s Studentensprache, worin ohne Zweifel etwas darüber zu finden sein wird. Ich habe sie aber jetzt nicht hier. Nach meinem |2| Sprachgefühl zu urteilen vermute ich hier aber wohl eine etwaige Einwirkung von „poetsen maken“, was bei den Holländischen Promotionen gang und gäbe ist.

Die Bereitwilligkeit womit Sie mir Ihre Arbeiten zur Verfügung stellen hat mich sehr getroffen, und ich werde gern davon Gebrauch machen. Wenn Sie mir für jetzt erst mal zusandten was von nahe oder fern mit grammatischen Begriffen etwas zu machen hat. (Ich beschäftige mich nämlich jetzt mit einer neuen holländischen Grammatik, wovon ich anbei eine Probe zur gefälligen Kenntnisnahme zufüge). Ich nehme dann zwei oder drei Monaten dazu, und sende Ihnen dann den ganzen Schtz zurück. Dann senden Sie mir wieder eine Sammlung, z.B. ihre kreolischen Schriften und was damit zusammenhängt. Wenn darin auch viel über Grammatik die Rede ist – ich kenne nur 2 oder 3 Ihrer diesbetreffenden Studien – dann könnten Sie diese nun auch gleich mitsenden. Und so weiter, |3| bis ich den ganzen Vorrat hier gehabt habe. Das würde sogleich eine gute Gelegenheit für mich sein, um einen festen Gedanken über die Ausgabe Ihrer Gesammelten Schriften zu bekommen, und Ihnen mit der Zeit auch einen festen Vorschlag zu machen. Wenn Sie in der Zwischenzeit schon etwas in Ihrem Testamente darüber feststellen wollen, so übertragen Sie es ruhig dem Firmanten2 Trübner in Strassburg, mit der Bedingung dass er meine Ratschläge, eventuell meine Leitung zu folgen habe. Meine Pietät für Sie wird anfüllen was an seiner (und vielleicht auch meiner) Akribie fehlen möchte.

Hoffentlich aber gibt Gott Ihnen noch Lebenszeit genug, dass ich Ihnen einen besseren ausführlichen Vorschlag machen kann. Allein darf es natürlich auch meine Arbeitszeit nicht gänzlich in Beschlag nehmen. Ausser meiner holländischen Grammatik habe ich einen grossen linguistischen Weltatlas mit zugehörigem ausführlichen Tekst über das Verhältnis der Sprachen |4| mit ihren Spechern unter Hand. Er wird wahrscheinlich in fünf Teilen erscheinen. Afrika ist halb fertig. Die äquatoriale Sprachfamilie Fr. Müllers breitet sich viel weiter aus, als die damaligen Materialien zeigten. Weiter bin ich einige sehr interessante Lautgesetze über die Schnalzlaute und den kp Lauten auf der Spur. Schleicher in seinen Afrikanischen Petrefakten hat gut gesehen mit seiner Gesamteinteilung usw. Ich höre nichts mehr von der baskischen Grammatik, wovon Sie mir vor schon zwei Jahren geschrieben haben: sie würde bald erscheinen. Bei meinen afrikanischen Sprachstudien werde ich öfters an baskischen Erscheinungen erinnert. Und überhaupt glaube ich von schönen Resultaten erst reden zu können, als ich nach Afrika und Asien, endlich zu Europa wo Afrika und Asien sich seit millennien begegnen kommen werde, aber dann mit etwas mehr Materialien in der Reise-Tasche als der erste beste Leipziger Indogermanist.

Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit, und herzlichen Grüssen

Dr Jac. van Ginneken S.J.


1 Schuchardt war mit J.Chr.G. Jonker ( Leiden) auch selbst in Kontakt, allerdings erst 1915: HSA 05143.

2 Holländisch.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 03773)