Hermann Möller an Hugo Schuchardt (09-07412)
von Hermann Möller
an Hugo Schuchardt
29. 12. 1914
Deutsch
Zitiervorschlag: Hermann Möller an Hugo Schuchardt (09-07412). Kopenhagen, 29. 12. 1914. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.11199, abgerufen am 07. 11. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.11199.
[BREVKORT – CARTE POSTALE,
KJØBENHAVN, 29.12.14]
Kopenhagen F, Mathildewej 2
d. 29.12.14.
Hochgeehrter Herr Professor,
Besten Dank für die freundliche Zusendung Ihrer Artikel aus der Revue Basque.1
Wie Sie unmittelbar nach dem Erscheinen von Meillets Artikel sich gegen ihn gewandt haben,2 so habe auch ich gleichzeitig, im Juli, vor Ausbruch des Krieges, mich gegen die mich (ohne Namensnennung) betreffende seiner Konklusionen gewandt, sein Verbot „de vouloir relier la sémitique à l’indo-européen“.3 Wenn ich in meiner Antwort mich mit Meillet in den „Prämissen“ einverstanden erkläre, während ich bloß die mich betreffende Konklusion bekämpfe, so |2| bitte ich nicht daraus schließen zu wollen, dass ich mit dem von Ihnen gegen Meillet im Allgemeinen wie auch im Besonderen bemerkten, das mir ja damals als ich schrieb gar nicht vorlag, nicht einverstanden sei, indem dieses Allgemeine teils Dinge betrifft an die ich bei Lesung von Meillets Artikel und bei meiner Bemerkung betreffend die „Prämissen“ gar nicht gedacht habe, teils Dinge, die mir gegenüber der Differenz die ich mit ihm habe geringfügig schienen und von denen ich absehen zu können glaubte. Ein solcher Punkt ist die unverkennbare Tatsache, dass Meillet: grammaire = Morphologie setzt unter Ignorierung der Syntax: was diesen Punkt betrifft, meine ich, dass die Syntax in der Tat für die drei von Meillet genannten Dinge, das Lautsystem, die Morphologie und der Sprachschatz für die Verwandtschaft sprechen, schwerlich auch noch so tiefgehende syntaktische Unterschiede gegen dieselbe sprechen können. Ferner was M. S. 409 (ohne Namensnennung) gegen Sie über „langues mixtes“ sagt. Es ist richtig, was Sie erklären, dass das Vorhandensein von „Lehnwörtern“ die Folge einer Sprachmischung ist. Wo zuerst in deutscher Rede das Wort „fenestra“ gebraucht wurde, lag eine solche Sprachmischung vor; nicht mehr wo heute das Wort „Fenster“ gebraucht wird, da jetzt in deutscher Sprache für die Sache gar kein andres Wort gebraucht werden kann und nur der Kenner der Sprachgeschichte und der Kenner des Lateinischen, der aber (wie übrigens natürlich auch der Sprachforscher), in solchen Dingen leicht sich irren kann, in solchem Falle das Vorliegen eines „Lehnworts“ konstatiert, während für jeden andern das Wort jetzt als urdeutsches gelten muss. – Mein Artikel, der der Zeitschr. in der M.s Artikel erschien angeboten wurde, deren (einer) Herausgeber indessen den Inhalt für die „Scientia“ zu „tecnico“ fand, wird nun zugleich mit einem andern Artikel in den „Memorie“ der Akad. von Bologna erscheinen: beide Artikel sind der Akad. am 7 Nov. von Trombetti4 vorgelegt worden u. ich habe bereits die Korrektur gelesen. Sie werden im 1. Heft der „Mem. für 1914/15“ erscheinen,5 das Ihnen als Mitglied direkt von Bologna zugehn wird, voraussichtlich noch bevor das Heft u. die Sonderdrucke hierher nach Kopenh. gelangen.
Zum neuen Jahre 1915, von dem wir einen guten, dauernden Frieden erhoffen, sende ich Ihnen die herzlichsten Glückwünsche.
Ihr ergebener
H. Möller.
1 Vermutlich Schuchardt, „Die Herleitungen aus dem Baskischen, bzw. Iberischen in Meyer-Lübkes Romanischem Etymologischen Wörterbuch“, Revue Internationale des Études Basques 8. 1914, 1-13; Ders., „Zur methodischen Erforschung der Sprachverwandtschaft II“, ebd., 389-396.
2 Vgl. die Korresp. Meillets mit Schuchardt (HSA 06934-06935).
3 Meillet, „Le problème de la parenté des langues“, Scientia (Rivista di scienza) XV, xxxv-3, 1914; wieder abgedruckt in Linguistique historique et linguistique générale, Paris: Champion, 1921, 99.
4 Alfredo Trombetti (1866-1929), ital. Semitist und Sprachwissenschaftler; vgl. HSA 11782-11841.
5 Möller, Sul problema della parentela delle lingue, Bologna: Gamberini, 1915 (Memorie della R. Accad. delle scienze dell'Ist. di Bologna. Cl. di scienze morali. Sez. storico-filol. Ser. 1,9).