Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (123-10685)

von Zsigmond Simonyi

an Hugo Schuchardt

Unbekannt

23. 02. 1919

language Deutsch

Schlagwörter: Spitzer, Leo Budenz, Josef Szarvas, Gabor Schiller, Friedrich Saussure, Ferdinand de Benigny, Gyula

Zitiervorschlag: Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (123-10685). Unbekannt, 23. 02. 1919. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.11041, abgerufen am 25. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.11041.


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P.S. Vom Etym. Wb. ist im vergangenen Sommer erst die 7. Lieferung erschienen von Cser. – bis Csobolyó.
23. Februar 1919

Verehrter Herr Hofrat!

Es hat mich sehr gefreut auf Ihrem Schreiben die wohlbekannten Schriftzüge zu erblicken, deren Schönheit auf ein ungetrübtes Wohlbefinden schließen lassen. Zu meinem lebhaften Bedauern habe ich dann gesehen, dass Sie Anlass zu ärgerlichen Bemerkungen haben. Mackensens Internierung hat uns ebenfalls schmerzlich berührt, sie hat uns die Schamröte ins Gesicht getrieben, wir haben es als uns allen zugefügte Demütigung empfunden. Es ist bezeichnend für die damalige Stimmung, dass Mackensens Leute zu Weihnachten von allen Schichten unserer bürgerlichen Gesellschaft mit Geschenken überhäuft wurden. –

Spitzers Pasquill ist gewiss eine rieseige Übertreibung, es liegt aber eigentlich jugendlicher |2| Übermut und Oppositionsgeist zugrunde. Ich erwarte das Literaturblatt mit großem Interesse. Die leidige Fremdwörterfrage gibt auch uns so viel zu schaffen. Schmidt und Zolnai wollen nicht aufhören und sind im Begriff ihren Kampf fortzusetzen. Ich fürchte, unser Sprachwart wird dadurch – bei seinem jetzigen beschränkten Umfang – etwas einseitig werden, wo doch eine Zeitschrift immer nach Vielseitigkeit zu streben hat, um anregend zu wirken. „Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen.“

Sie machen, Herr Hofrat, eine Anspielung auf eine Zurechtweisung vonseiten Szilys. Ich weiß nicht, worauf sich das bezieht, und wäre sehr dankbar es zu wissen. - Da fällt mir eine Bitte ein, mit der ich schon einmal kommen wollte. Sie besitzen wohl eine Anzahl von Briefen von Budenz, auch wohl von Szarvas, in denen so manches finden zu wäre, geeignet zum Frommen meiner Leser. Ich möchte alles verwerten, was von meinen beiden Meistern herkommt, und bitte sehr, wenn |3|Sie einmal bei Laune sind, die Briefe zu diesem Behuf einzusehen. Ich wäre sehr dankbar dafür, wie für alle Ihre bisherigen Wohltaten.

Ich lese jetzt abwechselnd Schiller und Saussure. Es ist merkwürdig, wie vieles selbst bei den Klassikern seit hundert Jahren sogar in der Schriftsprache veraltet ist (z. B. sich verweilen, jetzt blos verweilen u. s. W.), freilich hat die deutsche Schriftsprache seit 1870 eine riesige Umwälzung erfahren.

Bei Saussure hat es mich befremdet, dass er den Anfang und den Schluss eines Lautes wie p als Implosion und Explosion unterscheidet, wo wir doch unter Implosion etwas ganz anderes, einfach das Einatmen verstehen und bisher Verschluss und Öffnung unterschieden haben.

Ich arbeite jetzt an meiner ausführlichen Syntax (nach meinem Plan zwei Bände zu 40 Bogen) und möchte darin eine Bezeichnungslehre der Begriffs- und Gedankenverbindungen verwirklichen. Ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird. Es ist nicht |4| leicht alles zufriedenstellend zu gruppieren. So z. B. wird das konzessive Verhältnis teils im einfachen Satze, teils durch Satzverbindungen ausgedrückt. Nun aber kann ich nicht umhin, der Form nach den zusammengesetzten Satz vom einfachen scharf zu sondern: I. Band: der einfache Satz, 1. die Satzarten (Aussage, Wunsch, u. s. w., Behauptung und Verneinung, Frage und Antwort, gleichmäßig betonte und teilbetonte Gedanken usw.), 2. das Verhältnis der Satzteile unter einander. II. Der zusammengesetzte Satz. Das ist meine Einteilung. –

Sie haben Unrecht, Herr Hofrat, sich über die Taktlosigkeit Benignys zu ärgern. Übrigens kenne ich ihn persönlich gar nicht und habe ihm durch Vermittlung Josef Schmidts das nötige mitgeteilt.

Unser Sohn hat uns am 2. Mai 1918. aus Transbaikalien geschrieben, seit der Zeit haben wir keine Kunde von ihm. Zu neuester Zeit werden große Anstrengungen gemacht, unsere Söhne aus Sibirien heimzubringen.

Unsere herzlichen Wünsche für Ihr Wohlergehen sendet Ihnen, lieber Herr Hofrat, Ihr getreuer
Simonyi.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10685)