Hugo Schuchardt an Zsigmond Simonyi (116-HSZS29)

von Hugo Schuchardt

an Zsigmond Simonyi

Graz

23. 09. 1918

language Deutsch

Schlagwörter: Magyar Nyelvör Spitzer, Leo Meyer-Lübke, Wilhelm Graz Bonn Wien Wolf, Michaela (1993) Schuchardt, Hugo (1918) Hurch, Bernhard (2006)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Zsigmond Simonyi (116-HSZS29). Graz, 23. 09. 1918. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.11033, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.11033.


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G. 23.9.‘18

Lieber Freund,

Als ich vor längerer Zeit eine Karte von der Hand Ihrer Fräulein Tochter erhielt,1 freut ich mich sehr, da der Anblick des Parkbrunnens mir ihre oder der Familie Anwesenheit in Graz anzuzeigen schien. Der Anblick des Ehepaars – es klingt das nur unschmeichelhaft – bereitete mir eine herbe Enttäuschung. Eine vorjährige, also stark abgelagerte Ansichtskarte!

Entschuldigen Sie mich bei Ihrer Fräulein Tochter wegen meines Schweigens; ich gehöre zu den Hühnern2|2|die im Sommer keine Ostereier legen. Jetzt brieflenzelt es wieder ein wenig bei mir. Ich wollte, offen gestanden Ihnen nicht eher schreiben, als bis ich Ihnen etwas zu senden hätte: Gedrucktes oder Druckfähiges. Der erstere Fall ist nun eingetreten: ich schicke Ihnen meine berberische Abhandlung, deren Abdruck ich beschleunigt habe,3 weil ich solche Korrekturen bald nicht mehr werde erledigen können (obwohl meine Linsentrübung seit zwei Jahren keine allzustarken Fortschritte gemacht hat). Ich habe sonst kein Exemplar nach drüben geschickt; man wird mir das hoffentlich von keiner Seite übelnehmen. Auch Sie werden nicht viel Nutzbares darin finden, vielleicht hie und da etwas Methodologisches ausgenommen (wie 27f.) |3| Beinahe hätte ich für den M. Nyv. etwas eingeschickt. Da ich gerade bei der Fremdwörterfrage war und bin, regten mich L.s Ausfälle gegen die madjarische Terminologie von Schm. auf und an. Aber das ist ein weites und schwieriges Gebiet, zugleich ein internationales (soweit es sich um die Sprache der Wissenschaft handelt). Vielleicht komme ich doch wenn Anderes, schon lange Erliegendes, erledigt sein wird, dazu einige unpassende Worte über diesen Gegenstand, ich weiß noch nicht in welchem Sinne, aufzusetzen.

L. Spitzer hat sich zu Anfang August mit einer Antrittsvorlesung über Methoden der Syntax4 habilitiert. Seine Seele |4| ist in Bonn, zu den Füßen von Meyer-Lübke; sein Leib in Wien, feldgrau. Er ist mir manchmal zu hypergescheit; sagen wir es rund heraus, zu talmudistisch. Im Anschluß an einen frühen Nyv.-aufsatz von Ihnen schrieb er kürzlich über den Kannitverstan-typus; ich erinnerte ihn daran daß ich ausführlich den gleichen Gegenstand erörtert hätte, mit den Worten: „zu Simonyi … und zu Schuchardt Rom. Etym. I …!! Er erwiderte darauf, er kenne meine Rom. Etym. I sehr gut, aber er habe eben nur einen Nachtrag zu Ihnen geben wollen. Ich replizierte: Also ein Jubiläumsnachtrag? 5

Ich schließe mit dem, womit ich beginnen wollte (meine Zerstreutheit ist daran schuld), nämlich mit der Frage ob Sie seither nicht von Ihrem Herrn Sohn Nachricht erhalten haben. Jedenfalls bedaure ich aufrichtig daß Sie so lange in Sorge gewesen sind. Ich bitte mich Ihren Damen zu empfehlen.

Mit herzl. Gruß

Ihr ergebener

HSchuchardt

Haben Sie zum 70. von Winkler (28. Sept.) etwas vorbereitet?6


1 Die Karte ist erhalten, HSA 10577 (16.8.1916 [Wolf, Nachlaß, 355, fälschliche Dat. 16.8.1918].

2 Am unteren Rand ein P.S. „Der džekische Dolch von K. Kramář hat mich nicht aufgekitzelt; übrigens scheint dieser Kr. ebenso gefährlich wie sein Namensvetter“.

3 Schuchardt, „Die romanischen Lehnwörter im Berberischen“, SB d. Wien. Ak. 188, IV, 1918, 1-82.

4 Nicht im Druck nachgewiesen.

5 In der von Bernhard Hurch besorgten Edition Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt (2006) findet sich kein in diese Richtung weisender Hinweis.

6 Heinrich August Winkler (1848-1930), Sprach- und Völkerkundler, Prof. in Breslau. Er war am 28.9.1848 in Oppeln geboren.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. (Sig. HSZS29)