Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (92-10662)

von Zsigmond Simonyi

an Hugo Schuchardt

Murau

29. 07. 1916

language Deutsch

Schlagwörter: language Ungarisch Simonyi, Siegmund (1907) Schuchardt, Hugo (1916)

Zitiervorschlag: Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (92-10662). Murau, 29. 07. 1916. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.11009, abgerufen am 03. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.11009.


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Murau,1 29.7.’16.

Verehrter Herr Hofrat!

Wenn Sie unter den abgängigen, oder abgegangenen Wertgegenständen uns verstehen: wir sind, oder wenigstens ich bin es nicht wert, so liebenswürdig und zuvorkommend behandelt zu werden, wie Sie es, Herr Hofrat, in Ihrem Schreiben tun.2 Ich wäre Ihnen jedenfalls mit meinem Briefe zuvorgekommen, wenn wir nicht die ganze Zeit hier mit einer vielverzweigten Korrespondenz im Interesse unseres Sohnes3 und mit Geld- und Pakettsendungen an ihn zu tun gehabt hätten. Er ist ganz mittellos und wir sind sehr besorgt, ob und wann er durch unsere Sendungen erreicht wird; er ist mitt- |2| lerweile fort von Voronez4 (nach Biriutš5 im selben Gouvernement).

Nun muss ich Sie vor allem in Sachen des Ettmeyerschen Sonderdrucks6 beruhigen. Ich habe ihn nicht auf den Tisch gelegt, sondern als ordnungsliebender Mensch an dieselbe Stelle gestellt, wo er sich früher befunden hat. Das physische Suchen ist freilich ärgerlich, ob nun das Misslingen durch Vergesslichkeit oder durch die Tücke des Objekts verursacht wird. Mit dem wissenschaftlichen Suchen aber geht es mir ebenso, wie Ihnen, H. Hofrat: es ist mir von Anfang an zum Bedürfnis, zur Leidenschaft geworden. Dabei ist es sehr amusant, dass man in den meisten Fällen was anderes findet, als man sucht, man findet ja überhaupt mehr ungesuchtes, als gesuchtes.

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Aber auch das Sammeln und Beobachten, so wie das Ordnen und die induktive Bearbeitung der Beobachtungen bereitet mir Freude und Genuss. So ist es mir durch fortgesetzte zielbewusste Arbeit gelungen, mit der historischen Syntax des einfachen Satzes fertig zu werden (nur die Herausgabe macht mir Sorgen wegen der ungeheuren Teuerung in Druck und Papier). Mit dem zusammengesetzten Satz hoffe ich trotz meines reichlichen Materials noch fertig zu werden, da ich eine Vorarbeit in meinen „Bindewörtern“ habe.7

Mit Schloss Plankenwart hat meine Frau korrespondiert, die Preise waren aber für uns unerschwinglich. Wir freuen uns aber, Murau entdeckt |4| zu haben. Wir sind hier sehr gut aufgehoben, mit den Lebensmitteln haben wir es viel besser, als zu Hause, die Gegend aber ist eine der anmutigsten Alpengegenden. – Daran, dass wir unserer Absicht in der Nähe von Graz zu bleiben entsagen mussten, bedauern wir nur das eine, dass wir für die ganze Zeit auch Ihrer Gesellschaft entsagen mussten. Ihr sog. „Sündenregister“8 erwarte ich mit Freuden und erhoffe davon sehr viel Belehrung.

Ötvös ist eine uralte Ableitung vom Vb. Ött, der älteren Form von önt ‚giessen‘, also ‚Giesser‘ (das neuere önt aus ött X ont).

Mit ergebensten Grüssen von uns allen verbleibe ich Ihr getreuer
S. Simonyi


1 Ort in der Steiermark.

2 Schreiben nicht erhalten.

3 Károly Gábor Simonyi (1883-1927), Ingenieur. Wärend des Weltkriegs geriet er in russische Gefangenschaft und wurde nach Sibirien deportiert. Er konnte sich nach Shanghai durchschlagen, gründete dort Familie und ist dort im Jahr 1927 verstorben, wie man den Briefen seiner Schwester an Schuchardt entnehmen kann.

4 Vermutlich Woronesch (Воронеж), rund 490km süd-südöstlich von Moskau. Es gab eine große Zahl österreichischer Kriegsgefangener in diversen russischen Lagern.

5 Biriutsch a. d. Sosna.

6 Karl von Ettmayer (1874-1897), österr. Romanist, der 1899 bei Schuchardt mit der Arbeit mit Lombardisch-Ladinisches aus Südtirol. Ein Beitrag zum oberitalienischen Vokalismus; die zugrundeliegenden Dialektmaterialien promoviert hatte. Sollte es sich um diese Arbeit handeln?

7 Für den des Ungarischen unkundigen Leser empfiehlt sich Simonyi, Die ungarische Sprache. Geschichte und Charakteristik, Strassburg: Trübner, 1907 die über fast alle von Simonyi aufgeworfenen, das Ungarische betreffenden Fragen Aufschluss gibt. Ein Übersetzer wird nicht genannt; möglicherweise hat Simonyi den Text selber übertragen und dann im Verlag lektorieren lassen. Als deutschsprachige Hungarologen werden auf S. VIII (Vorwort) Franz Misteli in Basel, Heinrich Winkler in Breslau und Hugo Schuchardt in Graz genannt.

8 Verzeichnis der Druckschriften von Hugo Schuchardt. Graz: Leykam, 1916.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10662)