Hugo Schuchardt an Zsigmond Simonyi (84-HSZS16)
von Hugo Schuchardt
29. 03. 1916
Deutsch
Schlagwörter: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Deutsch Französisch Stumme, Hans Hirth, Georg Wien Bally, Charles (1913) Bally, Charles (1909) Bally, Charles (1909)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Zsigmond Simonyi (84-HSZS16). Graz, 29. 03. 1916. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.11001, abgerufen am 13. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.11001.
G. 29.3.‘16
Lieber Freund,
Zunächst noch meinen Dank für Früheres. Ohne Sie wüsste ich von Stummes Vortrag gar nichts.1 Er hat mir einmal eine türkische Kleinigkeit geschickt, aber sonst nichts und auch nicht geschrieben.2
Sodann Dank für das gestern Geschickte. Ich habe es mit grösstem Interesse durchblättert, muß aber die eingehende Beschäftigung auf später verschieben da mich jetzt Anderes ganz in Anspruch nimmt. – Warum haben Sie das kleine Heft von Bally Le l. et la vie 3|2| nicht und warum erwähnen Sie sein großes Buch nicht, Traité de stylistique française,4 welches ganz andere Dinge enthält als man nach dem Titel erwarten sollte?
Der Wiener Akademie gehört wenigstens ein Ungar an: A. von Károlyi.5 Aber das ist nicht genug wie ich längst gefühlt und gestern in einem Briefe nach Wien betont habe. Wir Provinzler sind, wo es sich um Wahlen handelt, fast machtlos; ich für meine Person ganz kraftlos. Meine Nerven haben mich von je her unendlich oft zur Passivität gezwungen wo mir das sehr leid war. Auch als ich noch zu den
* Warum nennen Sie Abel einen englischen Sprachforscher? Er war zu Berlin geboren und schrieb deutsch. Gehörte er etwa der Abel-Ebel-Ibel-Eibl-Familie an?6
|3|Wahlen nach Wien fuhr (Ende Mai) – seit einigen Jahren ist auch das weggefallen –, nahm ich an den Banketten nicht mehr teil. Schriftlichen Verkehr mit Wien habe ich fast gar nicht – aus einem sehr guten Grunde: meine Freunde und Altersgenossen sind gestorben.
Gestern wieder las ich in der Zeitung von dem Tode eines Jugendfreundes und zwar des „Jugend“gründers Georg Hirth. Und er war mir an Alter nur wenig voraus und sehr an Kraft und Gesundheit!7|4| Unsere Väter waren befreundet, bei seiner Großmutter, einer geborenen Französin,8 lernte ich lesen (französisch).
Jetzt leide ich nun wieder an jenem Kopfdruck der mich bis zum nächsten Winter begleiten wird, das heißt auch später in abgeschwächter Form, wenn ich überhaupt noch lebe.
Mit Mühe schreibe ich diesen Brief; aber ich muß Ihnen eben sagen wie wenig man – in Allem was eine Energieleistung erfordert – auf mich rechnen darf. – Kommen Sie nur nach der Steiermark – es wird schon noch etwas zu essen geben und der mündlichen Unterhaltung werde ich besser fähig sein als der schriftlichen.
Mit herzl. Gruß Ihr
HSch.
1 Schuchardt antwortet auf HSA 10658.
2 Diese Aussage erstaunt denn HSA weist für diese Zeit zwar keine sehr rege, aber doch regelmäßige Korrespondenz nach.
3 Charles Bally, Le langage et la vie, Genève; Ed. Atar [u.a.], 1913, 111 S.
4 Bally, Traité de stylistique française, Bd.1 und Bd.2, Heidelberg: Winter, 1909 u. ö.
5 Árpád von Karolyi (1853-1940), ungar. Historiker und Archivar, korr. Mitglied der Wiener Akademie d. Wiss.
6 Bezug unklar.
7 Georg Hirth (1841-1916), Statistiker, Publizist, Verleger (er war Mitinhaber der Münchner Neuesten Nachrichten und stammte aus Gräfentonna bei Gotha; vgl. HSA 04755-04762). - Er starb am 28.3.1916 in Tegernsee. Er war der Bruder des Malers Rudolf Hirth du Frênes und des Sinologen Friedrich Hirth. Der Vater war Georg (1807–57), Amtsadvokat u. Notar, Sohn des Johann (1749–1811), Posthalter u. Poststallmeister in Gotha.
8 Josephine Boisseau aus Namur, verh. mit Ange-Placide Drevelle du Frênes (1773-1823), aus Troyes, Gymnasialprof. in Jena u. Gotha.
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. (Sig. HSZS16)