Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (49-10640)

von Zsigmond Simonyi

an Hugo Schuchardt

Budapest

04. 06. 1912

language Deutsch

Schlagwörter: Magyar Nyelvör Magyar Tudományos Akadémia (Budapest) Szily, Kálmán Szarvas, Gabor Budenz, Josef Urtel, Hermann Katona, Lajos Graz Simonyi, Zsigmond (1900) Simonyi, Zsigmond (1903) Simonyi, Zsigmond (1903) Urtel, Hermann (1912)

Zitiervorschlag: Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (49-10640). Budapest, 04. 06. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10964, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10964.


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Verehrter Herr Hofrat!

Ich bitte Sie tausendmal um Verzeihung, dass ich so lange nichts von mir hören liess. Ich war mit meiner kranken Frau beschäftigt, die – wie Sie sich erinnern werden – den Staar hatte und am 2. April operiert wurde. Die Heilung des Auges war durch eine wiederholt auftretende Regenbogenhautentzündung lange Zeit gehindert und ist erst jetzt so weit gediehen, dass meine Frau ein Augenglas bekommen kann. Auch sonst hat sie während der Zeit viel mitgemacht, sie hatte ein inneres Leiden, das ihr sehr viel Ungemach verursacht hat. Jetzt aber erholt sie sich sichtlich, und es ist möglich, dass sie auf der Durchreise in Graz mit mir ihre Aufwartung wird machen können. –

Sie waren so freundlich in einem Briefe die Angelegenheit des M. Nyelvőr zu berühren. |2|Die Sache hat folgende Geschichte. Auf Anlass einer skandalösen akademischen Wahlkampagne habe ich mich im Nyelvőr (29: 215) etwas respektwidrig über akad. Angelegenheiten ausgesprochen1 und mir dadurch den tödlichen Zorn des damaligen Obersekretärs, H. Szily, zugezogen.2 Seither (seit 1900) wurde er nicht müde in dem Bestreben, mir durch allerhand Intriguen die Verfügung über M. Nyelvőr zu entziehen, ja sogar – wenn dies nicht gieng – der altbewährten Zeitschrift den Lebensfaden abzuschneiden. Er fand einen einflussreichen Verbündeten in Paul Gyulai,3 der mir meine orthographische Häresie nicht verzeihen konnte und besonders aufgebracht war, als im Jahr 1903 meine „vereinfachte“ Rechtschreibung amtlich für die Schulen herausgegeben wurde (vgl. Nyelvőr 32: 121).4 Ende 1903 machte ich die Konstituierung der M. Nyelvtudományi Társaság 5 dadurch möglich, dass ich einige hundert Exemplare des Nyelvőr um halben Preis überliess, damit sie ihren Mitgliedern etwas bieten könne. Der Dank dafür war, dass Szily schon ein |3| Jahr darauf die neue Zeitschrift der Gesellschaft gründete,6 mir dadurch einige hundert Abnehmer abwendig machte und zugleich dem Nyelvőr die akademische Unterstützung entziehen liess. Unglücklicherweise haben sich seit dieser Zeit auch die Druckkosten so sehr gesteigert, dass ich die Zeitschrift nur mit grossen Opfern erhalten kann, was ich trotzdem meinerseits für eine wissenschaftliche Ehrenpflicht halte, da ich schon vor vierzig Jahren, von allem Anfang an an der Seite Szarvas‘ und Budenz‘ gestanden und mich mit ihren Bestrebungen identifiziert habe.

Ich bitte mir diese weitläufige Auseinandersetzung zu vergeben, obwohl die Sache, wie ich denke, interessant genug ist: die vorsätzliche Unterdrückung einer altbewährten wiss. Zeitschrift wird kaum irgendwo ihres Gleichen haben. –

Nun noch eine Bitte. Infolge der Anzeige Urtels7 verlangen zwei deutsche Buchhändler den Sonderabdruck Ihres Nyelvőr-Aufsatzes. Ich bitte, mir, wenn möglich, vier oder fünf Stücke |4| zurückzusenden.

Unlängst haben wir in der Akademie eine schöne Denkrede zu hören bekommen über Katona. Die Rede ist jetzt in der Budapesti Szemle erschienen;8 wenn Sie wünschen, schicke ich Ihnen das Heft.

Mit besten Wünschen und Grüssen

Ihr ergebenster

Simonyi

Budapest 4. Juni 1912


1 Simonyi, „Jelentés az akadémiai nagy jutalomról és a Marczibányi-mellékjutalomról“, Magyar Nyelvőr 29, 1900, 217-220.

2 Kalmán Szily (1838-1924), ungar. Sprachwissenschaftler; ungar. Physiker, Sprachwissenschaftler, erster Generalsekretär der Ungarischen Akademie der Wissenschaften; vgl. HSA 11497-11523.

3 Pál Gyulai (1826-1909), ungar. Dichter und Literaturkritiker, seit 1875 Prof. für Ungarische Literaturgeschichte an der Univ. Budapest.

4 Simonyi, Helyes magyarság; a hibás kifejezések, a kerülendö idegen szók s a helyesírás szótárával, Budapest: Athenaeum, 1903 [=Richtiges Ungarisch. Die fehlerhaften Ausdrücke, zu vermeidenden Fremdwörter, m. Wörterbuch d. Rechtschreibung] sowie Az új helyesírás ... szövege és magyarázata bovitett szójegyzékkel, Budapest: Athenaeum, 1903 (Füzetek, Nyelvészeti, 5) [=Die neue Rechtschreibung. Text u. Erl. Vermehrtes Wörterverzeichnis].

5 Gesellschaft für ungarische Sprachwissenschaft.

6 Magyar nyelv: MNY; a Magyar Nyelvtudományi Társaság folyóirata, 1.1905 - 69.1973.

7 Hermann Urtel, „[Rez. von:] Hugo Schuchardt [ord. Prof. emer. an der Univ. Graz], Geschichtlich verwandt oder elementar verwandt? [...]“, Deutsche Litteraturzeitung 33(18), 1912, Sp. 1121-1123.

8 In den Jahrgängen des Budapesti Szemle 1911, 1912 und 1913 wurde kein Nachruf auf Katona gefunden; allein in Jg. 1912, S. 312f. findet sich eine Besprechung von L. Katona / Fr. Szinnyei, Geschichte der ungarischen Literatur.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10640)