Hugo Schuchardt an Zsigmond Simonyi (48-HSZS01)

von Hugo Schuchardt

an Zsigmond Simonyi

Graz

10. 03. 1912

language Deutsch

Schlagwörter: Magyar Tudományos Akadémia (Budapest) Magyar Nyelvörlanguage Deutschlanguage Französischlanguage Ungarisch Meringer, Rudolf Stumme, Hans Ungarn Kaiblinger, Fülop (1912) Schuchardt, Hugo (1894) Schuchardt, Hugo (1911)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Zsigmond Simonyi (48-HSZS01). Graz, 10. 03. 1912. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10963, abgerufen am 09. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10963.


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Graz, 10.3.12.

Lieber Freund und Kollege

Kaiblinger hatte mir vor einigen Tagen sein Buch zugeschickt1 und ich hatte es mir, da es mich ja sehr interessiert, für später zurückgelegt. Ich kann ja – besonders nun in meinem Alter – die Veröffentlichungen nicht in der Reihenfolge berücksichtigen wie sie mir in die Hände kommen, sie müssen auf mich warten bis meine nach eigenem Geschmack unternommenen Spaziergänge mich an ihnen |2| vorbeiführen. Ich habe in dem Buche K.s nur ein paar Minuten geblättert und ihm dann brieflich gedankt, indem ich zwei Bemerkungen einflocht. Wie eine zu S. 113. Es ist nicht wahr, hogy a német nyelv mindenfelé hért, veszit;2 das gilt gerade vom Französischen (ein Franzose hatte es behauptet). Vielleicht hält mich K. deshalb für einen Chauvinisten – er würde sehr Unrecht haben. Die zweite Bemerkung war ganz allgemeiner Art. Sie bezog sich eigentlich auf das ganze Buch oder doch besser Programm. Er scheint mir – der flüchtige Einblick gestattet mir nicht dies mit|3| Bestimmtheit auszusprechen – die ganze weltsprachliche Bewegung außer Acht gelassen zu haben. Ich selbst habe ja schon vor einem Vierteljahrhundert gerade die Verbindung von Wissenschaft und Praxis betont („eine Weltsprache ist auch --- ein wissenschaftliches Desiderat“ usw.)3 Darüber mag ich nun selbst mich jetzt nicht weiter äußern; vorderhand ist mir jedes Zurückgreifen in meine wissenschaftliche Produktion durch Meringers Größenwahnausbrüche verleidet.4 Es ist ja ganz natürlich daß man sich in gewissen Fällen um die Priorität streitet; aber nun soll Einer wenn er nicht auf Schritt |4| und Tritt behauptet: das ist von mir, damit zugeben daß dem Andern die Priorität zukomme!

Heute erhalte ich nun von Ihnen das Buch K.s. Das bíralót5 (warum nicht birálátas?) tisztelt példany (warum tisztelt?)6 flößte mir erst einen großen Schreck ein; aber da ich K.s Handschrift darin wiederfinde und außerdem Ihre Bleistiftstriche sehe, nehme ich an daß das bíralót schon erledigt ist. Soll ich Ihnen das Exemplar zurückschicken oder an welche andere Adresse?*

Unsere Jubiläen sind nun glücklich überstanden. Für einen Menschen ist die

(*Etwa an den Orientalisten Hans Stumme7 in Leipzig, der fleißig Madj. treibt und mir in dieser Sprache schon Postkarten geschickt hat?)

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Sache doch weniger günstig als für eine Zeitschrift. Denn mit ihm geht es keinesfalls mehr aufwärts, bestenfalls nur langsam abwärts. Beim Nyv. aber darf man doch auf Besserung der äußern Verhältnisse hoffen. Ich bin über die ganze Angelegenheit unterrichtet – habe absichtlich den Einzelheiten nicht nachgefragt, schon deshalb nicht weil ich durch so viele freundschaftliche Beziehungen in Ungarn gebunden bin und mich den innern Kämpfen gegenüber der strengsten Zurück- |6| haltung befleißigen muß. So habe ich es immer gehalten. Nichtsdestoweniger habe ich den Eindruck als ob mir Szily K.8 neuerdings nicht sehr gewogen sei.

Wenn ich nun auch die Gründe weshalb Ihnen die Unterstützung der Akademie Seiner Zeit entzogen wurde, nicht kenne, auch nicht aus dem damaligen Programm des M. Nyelv herauszuschälen und keinesfalls zu würdigen vermag, so habe ich doch die Tatsache selbst, an die ich durch den Druck immer von Neuem erinnert werde, lebhaft beklagt und wünsche Ihnen wie schon gesagt von Herzen daß auf irgend eine Weise diese Verhältnisse sich zu Ihren Gunsten ändern möchten.

Mit besten Empfehlungen an die Ihrigen

Ihr ergebener

HSchuchardt


1 Fülöp Kaiblinger, Alkotó nyelvtudomány; programm és részletek, Budapest: Franklin-Társulat, 1912 [=Schöpferische Sprachwissenschaft, Programm und Einzelheiten]. – Kaiblinger (1878-1955), ungar. Sprachwissenschaftler; im HSA gibt es keine Korr. mit ihm.

2 „dass sich die deutsche Sprache überall verbreitet hat“.

3 „Weltsprache und Weltsprachen”. An Gustav Meyer von Hugo Schuchardt, Straßburg: Trübner, 1894.

4 Schuchardt, Gegen R. Meringer, Graz: Eigenverlag. - Druckerei Leykam, 1911.

5 „Kritik“.

6 „Freiexemplar“.

7 Hans Stumme (1864-1936), Orientalist in Leipzig; gl. HSA 11356-11394.

8 Kalmán Szily (1838-1924), ungar. Sprachwissenschaftler; ungar. Physiker, erster Generalsekretär der Ungarischen Akademie der Wissenschaften; vgl. HSA 11497-11523.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. (Sig. HSZS01)