Matthias de Vries an Hugo Schuchardt (18-12562)
an Hugo Schuchardt
21. 02. 1890
Deutsch
Schlagwörter: Biographisches Graphematik Orthographie Phonologie Lexikographie Lexikologie Niederländisch Malaiisch
Zitiervorschlag: Matthias de Vries an Hugo Schuchardt (18-12562). Leiden, 21. 02. 1890. Hrsg. von Jörg Ahlgrimm-Siess und Johannes Mücke (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1096, abgerufen am 15. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1096.
Printedition: Ahlgrimm-Siess, Jörg; Mücke, Johannes (2012): „Ich bin auf der Jagd nach einigen in Holland gedruckten Schriften...“ Der Briefwechsel zwischen Matthias de Vries und Hugo Schuchardt.. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 78., S. 7-61.
Leiden, 21 Febr. '90.
Verehrtester Herr Kollege,
Ein böses Asthma, das mich seit einiger Zeit auf recht unangenehme Weise quält, hatmich verhindert Ihr werthes Schreiben vom 10 Febr. früher zu beantworten. Ich hoffenur, dass es jetzt nicht zu spät sei.
Der Doppelpunkt .. ist in unserer Sprache nie in Gebrauch gewesenals Andeutung der Aussprache, sondern ausschlieslich als Trema, wie wir z.B. geënt, geëtst schreiben, damitman die beiden Vocale trenne und nicht etwa geent, geetst lese mit demDoppelvocal ee. Sonst kennen wir dasZeichen gar nicht und haben es nie gekannt. Auch |2|in derTransscription aus dem Malaiischen ist es nie in Gebrauch gewesen, wie mich unser Kollege Kernversicherte, bei dem ich - selbst des Malaiischen unkundig - zu Rathe ging. Er sagtemir, dass der Doppelpunkt in dem von Ihnen erwähnten Büchlein von 1780 nichts anderssein kann als eine blosse Grille des Herausgebers, ohne Werth für die richtigeAussprache.
Was die Aussprache des holl. e anbetrifft,dieselbe lässt sich nur schwer mit der deutschen Aussprache vergleichen, weil dieeine von der Anderen bedeutend abweicht. In unserem geven z.B. lautet das e nicht ganz wie im deutschen geben, sondern wie das franz. é in été. Das e wie in Seele underklären kennen wir nicht, oder dochnicht genau mit demselben Laute. Wir unterscheiden 1. zacht-lang, wie ingeven,stelen,geef,steel,also in offenen Sylben oder auch in geschlossenen, in welchen aber |3|der Vocal doppelt geschrieben wird, weil gef und stel einenanderen Laut vertreten; 2. scherp-lang, wie in been, steen, twee [MdV amlinken Rand: Aussprache wie engl. a instate,grave.], etymologisch dem deutschen ei entsprechend, und bei uns auch mit ei abwechselnd, wie in klein und kleen; 3. scherp-kort, wie fr. è, als in bed, geb, let, zetten u.s.w.; 4. das stumme e, wie in loopĕn, goedĕ u.s.w.
Beim o tritt noch ein zacht-kort hinzu. Da unterscheidet man zwischen scherpkort(pot,lotu.s.w.), und zachtkort(dof, dom, wol u.s.w.). Ersteres lautet wie im hd. Gott, topf, spott, letzteres ungefährwie Wolle, voll u.s.w., aber doch nicht ganz genau, etwas dumpfer.
Im Niederl. Wörterbuch (art. O) werden Sie alles breiter behandelt finden (der art. Eist noch nicht erschienen), und namentlich finden Sie dort das vollständige undgenaue Verzeichniss der Wörter, die mit scharfkurzem oder mit sanftkurzemo gesprochen werden.Ich glaube, Sie werden dort alles finden zur Beantwortung Ihrer |4|Fragen, und die Analogie wird Ihnen auch für das e genügende Auskunft geben.
Indem ich Ihre freundlichen Wünsche herzlich erwiedere, bin ich inausgezeichneter Hochachtung
Ihr ergebenster
M deVries