Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (28-10621)

von Zsigmond Simonyi

an Hugo Schuchardt

Budapest

16. 10. 1906

language Deutsch

Schlagwörter: language Ungarischlanguage Rätoromanische Sprachenlanguage Ladinischlanguage Italienischlanguage Deutsch Trübner, Karl Ignaz Graz Schöpf, Johann Baptist (1866)

Zitiervorschlag: Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (28-10621). Budapest, 16. 10. 1906. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10943, abgerufen am 01. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10943.


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Budapest, 18. Okt. 1906.

Verehrter Herr Kollege!

Wir haben uns der sonnigen Laune, die aus Ihrem letzten Schreiben herausstrahlte, ausserordentlich gefreut. Die Grazer Witterungsverhältnisse scheinen einem Neurasthenicus meteorologicus sehr günstig zu sein. Wir wünschen Ihnen eine erfreuliche Fortsetzung!

In bezug auf ung.csúf habe ich Ihnen Interessantes mitzuteilen, was meinem Gedächtnisse nur entfallen war, als wir in Graz darüber sprachen. Dass das Wort im Rhätoromanischen vorhanden sein muss, war bloss eine Vermutung, die mir mein Kollege Gedeon Petz1 schon vor Jahren mitgeteilt hat. Das hat er |2| aus folgenden Tatsachen gefolgert:

1) Erzählt Manzoni im 1. Abschnitt der Promessi Sposi, dass im 17. Jahrh. „i bravi di mestiere, i facinorosi d’ogni genere, usavan portare un lungo ciuffo, che si tiravan poi sul volto, come una visiera, all’ atto d’affrontar qualcheduno … Il ciuffo era dunque quasi una parte dell’ armatura, e un distintivo de‘ bravacci e degli scapestrati; i quali poi da ciò vennero comunemente chiamati ciuffi. Questo termine è rimasto e vive tuttavia, con significazione più mitigata, nel dialetto …“

2) Begegnete Petz dem Ausdruck tschuff in unserem Sinne in Schöpfs* Tirolischem Idiotikon.2 Petz folgerte nun ganz richtig, das Ladinische müsse zwischen Italienisch und Tirolisch vermittelt haben. ǀ

*Nomen est omen: Schöpf ~ Schopf > ciuffo

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Malom hat das m zweifellos aus den häufigsten Formen: malomban. -ból, -ba (MNyelv 12: 48), wie der Ortsname Kolom aus Kolon (Nyv. 35:376). Sonst ist ja die Endung -on, besonders in gramm. Formen, ungemein häufig ohne sich in -om zu verwandeln. –

An Trübner will ich jetzt erst schreiben.3 Ich zögerte, bis ich dessen ganz sicher bin, dass ich das fertige Manuskript sehr bald werde liefern können. Es muss sich also das „gebildete Publikum“ noch eine kleine Weile in Geduld fassen, ehe es mein Buch auch deutsch wird lesen können. –

Mit besten Grüssen

Ihr dankbar ergebener

Simonyi.


1 Gedeon Petz (1863-1943), ungar. Germanist, seit 1904 o. Prof. an der Univ. Budapest.

2 Johann Baptist Schöpf / Anton J. Hofer, Tirolisches Idiotikon, Innsbruck: Wagner, 1866; XVI, 835 S.

3 Vgl. HSA 10605.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10621)