Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (08-10601)
von Zsigmond Simonyi
an Hugo Schuchardt
10. 10. 1892
Deutsch
Schlagwörter: Altaische Sprachen Latein Deutsch Französisch Ungarisch Budenz, Josef Gabelentz, Hans Georg Conon von der Kőrösi, Sándor (1882) Schuchardt, Hugo (1893) Gabelentz, Georg von der (1891)
Zitiervorschlag: Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (08-10601). Budapest, 10. 10. 1892. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10923, abgerufen am 14. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10923.
Budapest, Lónyay-utca 13.A.
10. Oktober 1892.
Sehr geehrter Herr Kollege!
Das Zeichen < bedeutet bei Budenz, dass das Suffix, vor welches es gesetzt ist, auch den einstigen Stammauslaut in sich begreift. So z. B. ist das Perfektsuffix -tt, -t oder aber ˂ ött ëtt ött, da mond-ott eigentlich aus mondo + tt entstanden ist. So zerlegt sich nach B. das subst.-bildende ˂ ás, és in *a-jse-js oder o-jsë-js, z. B. mondás aus *mondo-js (cf. mondo-k, mondo-m). – Budenz hat das Zeichen ungefähr seit Mitte der 70-er Jahre angewandt. Da aber bald darauf bei Ihnen dasselbe als Zeichen der auf -u. absteigenden Linie in Mode kam, so hab ich’s mir bald wieder abgewöhnt.
Was den Unterschied zwischen < und > betrifft, so glaub ich, ist er nicht dem mathe- |2| matischen Mehr und Minder analog (wie Sie in Ihrer jüngsten Rezension meinen). Wer da schreibt: aurōra ˃ *ausōsa, der denkt sich die Spitze des Zeichens wahrscheinlich als Ausgangspunkt der entgegengesetzten Form. Wer aber schreibt: *ausosa ˃ aurōra (oder aurōra ˃* ausosa), der hält das Zeichen für die Abkürzung des richtungsanzeigenden Pfeiles. Und wahrscheinlich war es urspgl. in diesem letzteren Sinne angewendet. Freilich muss nun eine Einigung zustandekommen, um etwaigen Zweideutigkeiten zuvorzukommen.
Und nun ergreife ich die Gelegenheit, um eine Bitte an Sie zu richten. Ich redigiere nach Budenz‘ Tode1 die Nyelvtudományi Közlemények , die sich von Neujahr ab in eine regelmässig erscheinende Vierteljahrschrift verwandeln, und zwar allgemeinen sprachw. Inhalts, also nicht wie bisher auf die altaischen Spra- |3| chen beschränkt. Auch bin ich ermächtigt, von nun an einzelne Beiträge in lat., deutscher od. franz. Sprache zu veröffentlichen.* (*Diese „Ermächtigung“ hat nun die Gesamtsitzung nicht gutgeheissen, und es bleibt vorläufig beim Alten. Jedoch werd ich vieles in der Ungar. Revue auch in deutscher Sprache veröffentlichen.) Ich bitte Sie also, – indem ich mich auf Ihr unsern Bestrebungen gegenüber so oft bewiesenes Interesse und auch auf Ihre Eigenschaft als äusseres Mitglied unserer Akademie berufe, – mich von nun an hie u. da mit einzelnen, wenn auch noch so geringfügigen Beiträgen erfreuen zu wollen. Wenn Sie mir gestatten, einen Gegenstand zu bezeichnen, der mir dafür vor allen geeignet erscheint, so bitte ich Sie um eine kurze Kritik über Körösi’s Fiumaner Programm (Ital. Elemente im Ung.).2 Wahrscheinlich wird er’s Ihnen zugesendet haben; wo nicht, so will ich Ihnen ein Exemplar zur Verfügung stellen. – Eile hat’s damit nicht, ich könnte bis Mitte Jänner darauf warten, da das 1. Heft 1892. im Februar erscheinen soll. Wenn Sie aber|4| wollen, so wart ich auch bis Mai, nur um Ihr competentes Urteil über K’s Werk zu erhalten.
Ich erwähne noch eins, womit Sie mich zu Dank verpflichten würden: wenn Sie zufällig Lust verspürten, sich über Gabelentz‘ Sprachwissenschaft3 auszusprechen.
Ich will überhaupt der Rubrik der Rezensionen grosse Sorgfalt widmen, und besonders in den ersten Jahrgängen mit den Anzeigen wichtigerer Werke immer eine allgemeine Orientierung über den betr. Zweig der Sprachw. verbinden. Bei uns gilt es nämlich für die meisten Zweige derselben erst jetzt Interesse und Verständnis zu wecken.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Bitte nicht lästig zu sein, und wünsche Ihnen eine dauernd gute Gesundheit.
Ihr ergebenster
S. Simonyi
Verzeihen Sie, dass ich den Brief aus Vergessenheit so lange liegen liess.
5. Nov. 1892.
1 Josef Budenz war am 15.4.1892 in Budapest verstorben.
2 S. Körösi, Az olasz elemek a magyar nyelvben, Fiume 1882 [=Les éléments italiens en hongrois]; vgl. dazu Schuchardt, Litteraturblatt 14, 1893, 176-177 (im Rahmen der Besprechung „Neueste Literatur über die lateinischen und romanischen Bestandtheile der südosteuropäischen Sprachen“, LB 14, 1893, 175-178).
3 Georg von der Gabelentz, Die Sprachwissenschaft; ihre Aufgaben, Methoden und bisherige Ergebnisse, Leipzig: Weigel, 189 ; XX, 502 S. – (Kein Rezensionsnachweis Schuchardts).