Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (06-10599)

von Zsigmond Simonyi

an Hugo Schuchardt

Budapest

09. 05. 1889

language Deutsch

Schlagwörter: Magyar Nyelvör Internationale Zeitschrift für allgemeine Sprachwissenschaftlanguage Ungarischlanguage Rumänischlanguage Lateinlanguage Venezianisch Molnar, Albert Sczenczi (1708) Budenz, Jószef (1873–1881) Simonyi, Zsigmond (1889)

Zitiervorschlag: Zsigmond Simonyi an Hugo Schuchardt (06-10599). Budapest, 09. 05. 1889. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10921, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10921.


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Budapest, 9. Mai 1889.

Verehrter Herr Kollege!

Eigentlich war der hier beiliegende Brief für Sie bestimmt, während der Adressat des Ihnen jüngst zugekommenen Schreibens Professor Misteli1 hätte sein sollen. In der Eile habe ich die beiden Briefe vertauscht, und nun bekomme ich den für Sie bestimmten von Prof. Misteli zurück, der den Irrtum bemerkt hat. Wenn Sie das andere Schreiben noch zufällig zur Hand haben, so bitte ich es mit einer begleitenden Notiz an Prof. Franz Misteli Basel übersenden zu wollen. –

Gúny, gúnyolni ist [gem. kommt] nach unseren Daten in der älteren Literatur äusserst selten vor, und zwar erst seit dem 17. Jahrhundert. Albert Molnár schreibt diese Wörter wirklich noch in allen Ausgaben seines Dictionarium mit kurzem Vokal.2 Da die Länge der Vokale u ü i|2| dialektisch äusserst schwankend ist, so bietet die Länge in solchen Wörtern gar keine Schwierigkeit.

Budenz hat das Wort nicht aufgenommen.3 Ich aber habe es eben in einem unter der Presse befindlichen, populär sein sollenden Werke („A Magyar Nyelv“ betitelt)4 unter den italienischen Lehnwörtern angeführt. Ich meinte es nämlich mit einigen italienischen Wörtern identifizieren zu können, denen ich zufällig begegnete: churwälsch gomgnia Spott (aus vergogna verkürzt, wie gogna ,pranger‘?), sgognare ,spotten, nachäffen‘ (contaminiert aus [ver]gogna und s-ghignare ,auslachen‘?) etc. Haben Sie auch an dieselben Wörter gedacht? dann können Sie gewiss genauern Aufschluss darüber geben. Was den Stammvokalen und die Endung unseres gunyol betrifft, scheint schon das ältere Wort für denselben Begriff, nämlich guggol, darauf eingewirkt zu haben. Guggolni heisst 1) niederhocken, 2) (veraltet) spotten, verspotten. (NB. ist csúfol, csúf auch italienisch: ciuffo).

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Ich habe mir eine ganze Menge italienisch-ungarischer Gleichungen notiert, komme aber nicht dazu, die Lücken auszufüllen, habe auch die nötigen Hilfsmittel nicht zur Hand. Ich werde einmal so frei sein, Ihnen eine ganze Frageliste zu präsentieren.

So glaube ich z. B. für das ung.fattyú „bastard“ eine bessere Erklärung zu haben als Alexics, der es im Nyelvőr aus dem rum. Reflex von lat.foetus erklärte. Ich halte es für das Partizip von fottere : fottuto. Lautet aber dies im Venezianischen wirklich fottù, wie ich voraussetze? In einem Wörterbuch finde ich becco fottuto „Hundsfott“. Es ist also sogar möglich dass fottù schon in italien. Mundarten ein ständiges Wort für Bastard geworden.

Járgány heisst eine Hebevorrichtung auf dem Schiffe. Dies muss = ital. árgano, „Kran, Hebzeug“ sein. Woher aber das anl. j : durch slavische Vermittlung oder durch Volksetymologie, die es ans Verbum jár knüpfen konnte?

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Fare il gheppio heisst „sterben, umkommen“. Hat dieses gheppio keine Form mit b? etwa ghebbio? oder ist es wirklich dasselbe Wort, wie gheppio „Turmfalke“? Ungarisch heisst gebedni krepieren und gebe eine Schindmähre. –

Wie ich höre, ist das 2. Heft von Techmers Zeitschrift schon nahezu fertig, die Anzeige des Wörterbuchs kann also nicht mehr hineinkommen.5 Doch soll noch im Laufe des Sommers die erste Hälfte des V. Bandes erscheinen, und Balassa – der auf die Aufforderung Techmer’s hin die Anzeige hätte schreiben sollen – überlässt Ihnen, wie er mir sagte, diese Aufgabe mit der grössten Freude, da er schon zwei Anzeigen geschrieben: eine in Philologiai Közlöny, die andere in der Ungarischen Revue. Die letztere habe ich selbst noch nicht; ich werde Ihnen aber ein Exemplar davon senden oder senden lassen.

Ich verbleibe mit herzlichem Grusse

Ihr ergebenster

S. Simonyi


1 Franz Misteli (1841-1903), schweizerischer Klassischer Philologe und Sprachwissenschaftler; vgl. HSA 07392-07393.

2 Albert Sczenczi Molnar, Dictionarium quadrilingve latino-ungarico-graeco-germanicum: Innumeris Vocibus, Phrasibus, Formulis loquendi, & Proverbiis, cum quantitate Syllabarum, Indiceqve Græco Et Germanico ..., Nürnberg: Endter, 1708 (quartâ Editione locupletatum).

3 Josef (Jozef) Budenz (1836-1892), deutscher Finno-Ugrist, später Bibliothekar und Professor in Budapest; Magyar-ugor összehasonlító szótár; ungarisch-ugrisches vergleichendes Wörterbuch, Budapest 1873-1881.

4 Simonyi, A magyar nyelv. 1. A magyar nyelv élete; 2. A magyar szerkezete, Budapest: Kiadja a Magyar Tud. Akad., 1889.

5 Die Internationale Zeitschrift für Allgemeine Sprachwissenschaft stellte 1890 ihr Erscheinen ein. Friedrich Heinrich Techmer starb ein Jahr später. In Suppl. I, 1887, 25 findet sich bereits ein Hinweis auf Simonyis Historisches Wörterbuch der ungarischen Sprache.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10599)