Hugo Schuchardt an John Rhys (31-A1.1.28.iii)

von Hugo Schuchardt

an John Rhys

Graz

05. 12. 1897

language Deutsch

Schlagwörter: language Baskischlanguage Walisisch Dodgson, Edward Spencer Linschmann, Theodor/Schuchardt, Hugo (1900)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an John Rhys (31-A1.1.28.iii). Graz, 05. 12. 1897. Hrsg. von Dagmar Bronner, Belma Mahmutovic, Verena Schwägerl-Melchior und Markus Wursthorn (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10836, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10836.


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Graz 5 Dez. 97.

Mein lieber alter Freund,

Verzeihen Sie mir zunächst diese vertrauliche Anrede; meine Gefühle für Sie und ihre Familie sind seitdem ich Ihre Gastfreundschaft genossen, immer die gleich aufrichtigen und warmen gewesen. Damit hat gar Nichts zu thun wenn ich Ihnen gelegentlich in wissenschaftlichen Dingen opponirt habe – denn dies ist doch nicht in unhöflichem Tone |2| geschehen; auch andern meiner Freunde – insbesondere den Junggrammatikern – habe ich scharfen Widerspruch entgegengesetzt, ohne ihnen deshalb persönlich gram zu sein. Vielleicht habe ich dadurch Verstimmung hervor gerufen, aber doch nur vorübergehende; und eine solche ist hoffentlich auch die Ihrige gewesen. Ich habe Sie übrigens, wenn ich nicht irre, ausdrücklich um Entschuldigung gebeten.1

Heute schreibe ich Ihnen aus einem besondern Anlass. Ich habe in diesem Sommer von unsrer Akademie die Bewilligung einer Summe erhalten die mich in den Stand setzen wird mit Pfarrer Linschmann zusammen, das baskische N.T. Liçarragues und seine sonstigen Schriften neu herauszugeben. [* der 5te Bogen ist schon gesetzt.]2Dodgson3|3| hatte von mir; auf seine Anfrage, privatim erfahren dass wir auch die Druckfehler L.'s reproduziren würden. Darüber hat er nun nicht bloss mir – natürlich seiner Art gemäss ohne weitere Motivirung – Vorwürfe gemacht, sondern auch gleichzeitig an die Akademie geschrieben, und zwar eine Korrespondenzkarte, worin er sich veranlasst erklärt, to implore your honoured Academy not to permit this disastrous plan; vorher hat er sogar von einem grave mistake gesprochen, und zwar ohne über unsere Druckeinrichtung – abgesehen von jenem einen Punkte – unterrichtet zu sein. Ich habe natürlich Nichts dagegen einzuwenden dass über irgend eine öffentliche Kundgebung, sei es auch nur der Prospect eines erst zu druckenden Werkes Jeder urtheile wie er denkt; aber eine Privatmittheilung in einer solchen Weise zu verwenden, noch dazu wenn man weiss dass das Unternehmen schon ins Werk gesetzt ist und ohne beträchtliche Kosten |4| nicht rückgängig gemacht werden kann, das ist – gelinde gesagt – ungentlemanlike. Dodgson besitzt eine sehr gute praktische Kenntniss des Baskischen, das habe ich stets anerkannt und werde es stets anerkennen, in allem Andern ist er ein completer Narr, der für sich alle möglichen Rücksichten beansprucht und keine für Andere hat. Ich habe völlig mit ihm gebrochen. Er aber schreibt mir Brief auf Brief, die ohne jede Antwort bleiben werden: Am 23. Nov. schreibt er u. A.: „Professor Rhys thinks you very conceited. It is a word often used stupidly and has been applied to myself.” Am 29 Nov.: Professor J. Rhys, of Rhyddichin4, says he knows how brutal you can be.” Zu Anfang dieses Briefes hatte er mir gedroht: to add a note to my next publication requesting all persons finding your name in any of my printed writings to efface the same, as false to me and to Basque”(!)5Dodgson ist nicht nur ein lästiger Narr, sondern auch, durch seine Rücksichtslosigkeit, ein gefährlicher; ich wollte Sie durch diese Mittheilungen nur vor ihm warnen – wenn Sie sich über mich auch in etwas ungünstiger Weise geäussert haben sollten so nehme ich – in der Voraussetzung dass es sich auf unsere wissenschaftliche Discrepanz bezieht- durchaus nicht übel.

Ich empfehle mich Ihrem und der Ihrigen mildem Angedenken

Ihr ganz ergebener

Hugo Schuchardt


1 Vgl. Schuchardts Aussagen in seinem Brief an Pio Rajna vom 26. September 1903.

2 Linschmann, Theodor & Hugo Schuchardt. 1900. I. Leiçarragas Baskische Bücher von 1571 (Neues Testament, Kalender und Abc). Straßburg: Trübner. Die Anmerkung ist in den unteren Seitenrand geschrieben.

3 Edward Spencer Dodgson (1857–1922), Baskologe und Angehöriger des Jesus College in Oxford.

4 Rhydychen ist der kymrische Name von Oxford.

5 Für die besagten Schreiben siehe wiederum den Brief Dodgsons an Schuchardt vom 23. November sowie den Brief vom 29. November; die Bemerkung findet sich im Postscriptum).

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der National Library of Wales. (Sig. A1.1.28.iii)