Hans Stumme an Hugo Schuchardt (11-11366)

von Hans Stumme

an Hugo Schuchardt

Leipzig

30. 11. 1910

language Deutsch

Schlagwörter: language Französischlanguage Slawische Sprachenlanguage Ungarischlanguage Phönizischlanguage Berberisch Tunis Schuchardt, Hugo (1920) Schuchardt, Hugo (1912) Bezold, Carl (1912)

Zitiervorschlag: Hans Stumme an Hugo Schuchardt (11-11366). Leipzig, 30. 11. 1910. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2021). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10796, abgerufen am 05. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10796.


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Leipzig, 30 Nov. 1910.

Hochverehrter Herr Professor!

Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich den Ausdruck sonika noch nie gehört habe!1 Aber mit dem Namen jenes Tores und Stadtviertels in Tunis kann er nichts zu tun haben, denn das betr. T. u. Str. heißt bâb swîqa باب سويك „Tor des kleinen Bazars“ (swîqa ist der Diminutiv von sûq سوق , also klass. vokalisiert [siehe Faksimile], was die Franzosen Bab Souika umschreiben. Hier im Leipziger Museum hängt ein schönes Bild vom algerischen Laġwâṭ [الأغواط], franz. formiert Lagouat; darunter steht: Rue de Lagonat! Also dieselbe Verwechslung von n und u. Ihr „Sonika“ kommt mir eher slavisch oder ungarisch vor. Die Russen sagen freilich auch соника, aber es ist natürlich nicht gesagt, daß sonika in dieser Sprache ihren Ursprung habe.

Wegen Ihres Ansuchens, daß ich die phöniz. Reste im Berberischen jetzt lieber nicht behandeln möchte, da Sie eine Publikation über dieses Thema vorhaben,2 bin ich Ihnen durchaus nicht gram! Ich hatte Ihnen das ja seinerzeit zugesagt, es aber offengestanden wieder vergessen; denn mein Gedächtnis ist etwas sehr schwach! Ich habe auf der andern Seite aber leider gar nicht viel Vokabeln da, die verglichen werden sollen. Auch sind mir die Vergleiche in ihrer Berechtigung gar nicht so todsicher.

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Ich wollte in dem betr. Artikel für die projektirte Goldziher-Festschrift3 nämlich bloß behandeln: aȥȥäl, aȥalim, agelzim, agulmim, aģanim, alutim, abaun, agadir, igenna, (w)abîba, ûrģ, agudi, alim, agalim, amazir, tamazirt, amadir und tumȥȥin (Gerste). Ihren Schätzen gegenüber also ein ganz erbärmlich kleines Häufchen! Das alutim möchte ich schon, wie geäußert, so auch jetzt noch zu פלוט4 stellen. In dem -im von agelzim = Hacke, alim = Stroh, agalim = Häcksel erblicke ich kein hebr.-phöniz. Pluralisches -îm. Mehr möchte ich hier über diese -im-Nomina nicht sagen, um Sie nicht in Ihrem System zu stören; wenn Sie sie mir aber freigeben, so würde ich über diese in der Goldzieherschrift handeln; aber über keine andern imesek dazu. Leider kommen mir auch über diese genannten Nomina meine Ansichten nicht ganz absolut unerschütterlich vor. Woher amadir „Hacke“ kommt, wissen Sie ja aber wohl auch? Es ist ja ganz direkt phönizisch; vielleicht ist aber auch das schon irgendwo gesagt worden? Meine Ansichten über amazir und tamazirt sind auch angreifbar! Ja, was bleibt mir da eigentlich von ganz Solidem übrig? Bloß neben amadir, ajanim, tumaȥȥęn! Und es ist dies vielleicht zu wenig, um mit ihm einen Artikel zu füllen. Aber man kann ja auch einmal Dubiöses vorbringen!

Mit der Bitte, mir zu schreiben, ob ich über diese imesek reden darf und ob Sie über amadir schon die Ableitung gelesen haben, und mit bestem Danke für Ihre Auskünfte auf der Karte vom 21. Nov. und im Briefe vom 19. schließt

mit herzlichem Gruße

Ihr ergebener

Hans Stumme


1 Schuchardt, „Sonika“, Zeitschrift für romanische Philologie 40, 1920, 603-604.

2 Vermutlich Schuchardt, „Zu den berberischen Substantiven auf -im“, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 26, 1912, 163-170.

3 „Festschrift für Ignaz Goldziher“, hrsg. von Carl Bezold, Zeitschrift für Assyrologie und verwandte Gebiete 26, 1912. - Ein Beitrag Stummes ist jedoch darin nicht erhalten.

4 Der zur Verfügung stehende Zeichensatz erlaubt keine Vokalisation!

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11366)