Otto von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (12-13182)

von Otto von Zwiedineck

an Hugo Schuchardt

Gräfelfing

02. 02. 1922

language Deutsch

Zitiervorschlag: Otto von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (12-13182). Gräfelfing, 02. 02. 1922. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10704, abgerufen am 22. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10704.


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Gräfelfing 2 Febr. 1922

Hochverehrter lieber Freund!

Immer wieder muss ich der Frische gedenken, in der Du mir trotz kleinen Beschwerden zum letzten Male gegenüber saßest und so ganz im Sinne der Xenie:

Weisst Du worin der Spaß des Lebens liegt? Sey lustig! – geht es nicht, so sei vergnügt.1

Ich habe ganz den Eindruck, ich könnt‘ mirs nicht besser wünschen für meine hohen Tage und drum kann ich mich auch so sehr freuen, dass Dir das seltene Fest des Achtzigsten Geburtstages beschieden ist. Dir sagt man aus voller Überzeugung: „fahre fort!“ Vivat sequens annus!2

Vor wenigen Tagen war ich bei Engler,3 der ja auch am 5.I. seinen Achtzigsten begehen konnte – nur leider wie er meint therapeutisch zum Charakter-Verlust verdammt, da er kein Salz und keinen Wein geniessen darf. Aber der Humor und der Witz ist ihm durch die angehungerte und angedürstete Charakterlosigkeit noch nicht verdorben worden |2| Und so kann es einem wirklich leid tun, dass man Euch beide nicht zusammen bringen kann, es gäbe eine köstliche Stunde – ich wettete Ihr würdet Euch glänzend unterhalten.

Ich stelle es mir so nett vor wie es bei Dir übermorgen erst recht lebhaft zugeht, wie einer dem anderen oder noch mehr (bei Deinem starken Interesse für das „was sich ziemt“) eine der Anderen die Türe in die Hand drückt, wie es aber dann immer stiller wird, bis nur noch ein Kleinster Kreis zurückbleibt und schliesslich nur die Gestalten Deiner Erinnerung teils noch Lebende teils „Zerstäubte“ wie der Weimaraner sie einmal nennt.4 Unter jenen i. e. den Lebenden melde auch ich mich zur Parade und möchte gern Zeuge sein, wie Du mit Erlaubnis dasselbe Dir leistest was Engler ohne solche sich gestattet hat; einige Gläser eines guten Tropfens auf die eigene Gesundheit!

Quod bonum faustumque sit.

Meine liebe Frau, die Dich längst gern sehen möchte und kennen lernen schliesst sich mit herzlichsten Grüßen meinen Wünschen an
In unwandelbarer Verehrung
Otto Zwiedineck


1 Goethe, Zahme Xenien 1.

2 „Es lebe das folgende Jahr!“

3 Carl / Karl Oswald Viktor Engler (1842-1925), deutscher Chemiker, ab 1887 (?) o. Prof. für Chemie und Direktor des Chemischen Instituts an der TH Karlsruhe; vgl. HSA 02744-02757.

4 Lange hab ich mich gesträubt
Endlich gab ich nach
Als das alte ich zerstäubte,
das neue wurde wach.
Solange du das nicht hast,
dieses Stirb und Werde,
solange bist du nur ein trüber Gast
auf dieser Erde (Goethe, „Herbst“).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 13182)