Otto von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (11-13181)
an Hugo Schuchardt
02. 02. 1921
Deutsch
Zitiervorschlag: Otto von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (11-13181). Breslau, 02. 02. 1921. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10703, abgerufen am 09. 11. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10703.
Breslau, 2.II.1921.
Hochverehrter lieber Freund!
Da täglich durchschnittlich 100 Seiten Dissertationen auf mich niederprasseln so muss dieses Dokument meines Gedenkens leider sehr kurz werden. Aber ich weihe Dir dieses schöne Büttenblatt um Dich in dem Stile zu ehren, in dem Du Dein Leben immer geführt hast.
Wenn ich nicht meine liebe Frau hätte und dadurch mit meinen Interessen in die Gegenwart hinein verankert wäre, so würde ich Dir vielleicht heute aus irgendeinem Übersee-Zipfel meine Geburtstagsgrüsse zum 5.1 senden. Ich glaube ich wäre nicht mehr in dem verrückten Europa. Und es zeigt sich noch so gar kein Strahl von Licht. Ja, der Krampf des Nationalismus scheint sich nur zu verhärten, der Wahnwitz wächst und scheint die zur Objektivität berufenen und verpflichteten Menschen der Wissenschaft*) [*) Denn leider haben französische Volkswirte die Pariser Bestimmungen grundlegend beeinflusst u. predigen „Gelehrte“ dieser Disziplin solchen Blödsinn] immer noch mehr in seinen Bannkreis zu ziehen. Das Jahreseinkommen des Deutschen Volkes ist |2| vielleicht heute – im Frieden auf 30 Milliarden geschätzt – auf 60 Passiv-Milliarden zu veranschlagen. Das sind, da ein 20 Markstück etwa 270 Papiermark kostet, rund 5 Milliarden Goldmark und davon sollen wir jährlich 6-7, sofort aber 3 abgeben.
Verzeihe dass ich mich von diesen Erlebnissen so sehr in Anspruch genommen zeige. Ich hätte ja eigentlich alle Veranlassung mir über den erfreulichen Aufstieg meiner akademischen Laufbahn zu freuen und ich tu es ja auch, aber hinwegheben kann mich das doch nicht über unser Gemeinschafts-Elend – und dabei denke ich allgemein als Mensch gar nicht bloss als Deutscher. Denn als Mensch muss man sich schämen, dass dieses genus in der mehrtausendjährigen Entwicklungslinie es nicht weiter gebracht hat. Ich wünsche Dir herzlich Du möchtest leichter drüber hinwegkommen.
Hoffentlich geht es Dir gut und Du bist in Deinem Tusculum beneidbar, ich hoffe es wirklich herzlichst mit schönsten Grüssen
Dein verehrungsvoll erg.
Otto Zwiedineck
1 recte: „zum 4.“
