Otto von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (08-13178)

von Otto von Zwiedineck

an Hugo Schuchardt

Lodz

31. 01. 1918

language Deutsch

Zitiervorschlag: Otto von Zwiedineck an Hugo Schuchardt (08-13178). Lodz, 31. 01. 1918. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2020). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10700, abgerufen am 22. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10700.


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Lodz 31.1.18

Hochverehrtester lieber Freund!

Just einen Monat älter als Du ist Kollege Engler1 und ich schrieb ihm zu seinem 76. Jahresabschluss unter Hinweis auf die bemerkenswerten Ereignisse des Jahres 1842 in der Geschichte der englischen Kolonialpolitik: Abschluss des Opiumkrieges und Niederlage der Engländer in Afghanistan. Wie hat sich die Kolonialentwicklung. Wie ungeheuer hat sich seither Englands Macht gehoben! Darauf antwortete Engler unter Hinweis auf die Misserfolge im Elsaß wie weit überlegen doch offenbar die Engländer in der Menschen-richtigen Völkerbehandlung gegenüber den Preussen sind, welche Festigung die Stellung der Engländer in der ganzen Welt wo sie Fuß gefasst hatten in den 3/4 Jahrhunderten erfahren hat, während uns im Elsaß die Lösung der so viel kleineren Aufgabe nicht gelungen ist.

Du wirst es begreifen, dass ich diesen Misserfolg deutschen, insonderheit preussischen Wesens gerade anlässlich Deines Geburtstages nicht in Zustimmung mit Euer bei- |2| der Existenz während dieses ¾ Jahrhunderts bringen möchte, obgleich gerade bei Dir und Deiner Lebensarbeit ein solcher Kausalnexus vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen ist – ich möchte nur auf die schlechte Aussprache des Französischen bei den preussischen Beamten aufmerksam machen und der Meinung Ausdruck geben, dass Ihr Romanisten eben vor allem hättet Leninisten sein sollen, die in der Masse wirkend das Verständnis für die französische Volksseele anders zur Geltung bringen konnten als in Spezial-Kollegs über weiss Gott welche Partizipial Konstruktion.

Summa rationis: es wird auch nach dem Kriege gewiss noch viel zu wenig Romanistik unter den Mittelmächtevölkern geben und das ist Grund genug um Dir den Wunsch zu übermitteln, dass Du hochverehrter lieber Freund noch recht lang und arbeitsfreudig nach Abschluss des wohl immer nicht so nahen Friedens wirksam sein mögest.

Ich hoffe die Motivierung sagt Dir zu. Alles Individuelle muss man leider immer noch zurückstecken. So stecke ich auch meine Empörung gegen Dein Sachsentum2 zurück obgleich der sächsische Partikularismus mich um die Berufung nach Leipzig gebracht hat, wo ich secundo loco pari passu mit einem Sachsen vorgeschlagen war und der Sachse die Berufung erhalten hat. Also nichts für ungut und ich wollte ich könnte mit Dir eine der wenigen in meinem Keller in Karlsruhe noch vorhandenen Flaschen – auch eventuell alle die wenigen – Bordeaux auf Dein Wohl trinken! Dass Du einen so treffenden Ausspruch über die Auflösung meiner Ehe getan hast – meine Mutter schrieb mir davon3 – hat mir überaus wohlgetan. Mit nochmaligen herzhaften Heilwünschen

In treuer Verehrung Dein
Otto Zwiedineck


1 Karl Oswald Victor Engler (1842-1925), deutscher Chemiker an der TH Karlsruhe, geb. am 5.1.1842 in Weisweil (Kreis Emmendingen).

2 Hier irrt Zwiedineck: Schuchardt war gebürtiger Thüringer.

3 Otto von Zwiedineck war nacheinander mit Hermine Cloeter und Hedwig geb. Müller verheiratet. Vgl. Ideale und Wirklichkeiten. Aspekte der Geschlechtergeschichte. Briefwechsel zwischen Hermine Cloeter, Emma Cloeter und Otto von Zwiedineck-Südenhorst 1893-1957. Herausgegeben von Margret Friedrich, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1995,

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 13178)