Lajos Katona an Hugo Schuchardt (440-05478)
von Lajos Katona
an Hugo Schuchardt
24. 12. 1909
Deutsch
Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (440-05478). Budapest, 24. 12. 1909. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10626, abgerufen am 08. 07. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10626.
Budapest, 24.IX.1909.
Hochgeehrter Freund!
Leider kann ich schon wegen meines Gesundheitszustandes, der nicht der allerbeste ist, auf die liebenswürdige Einladung zum Grazer Philologenkongress1 nicht die meinerseits so sehnlich erwünschte und Monate lang freudig erhoffte Antwort durch persönliches Erscheinen geben, und muss mich mit einer sogenannten geistigen Teilnahme begnügen, d. h. die gewiss hochinteres- |2| santen Verhandlungen, von denen mich besonders die der folkloristische Sektion gefässelt hätten, bloss aus den nachträglichen Relationen zur Kenntnis nehmen.
Und wie schön wär‘ es doch gewesen, nach so langer Zeit meinen teuren guten Meister in seinem neuen Tusculum zu begrüßen und mich an seiner ungeschwächten Arbeitskraft – und Schaffenskraft zu erbauen! Und wenn je, so bin ich jetzt einer solchen Aufmunterung bedürftig. Denn |3| ich mache in der letzten Zeit nur zu häufig die sehr deprimierende Wahrnehmung an mir, dass Sie mit Ihrem halb ernsten, halb scherzhaften Hinweis auf jenes Klimakterium so ziemlich den Kernpunkt der Sache, d. h. die Wurzel meines Unbehagens getroffen haben. In geistiger Hinsicht bin ich allem Anschein nach hart an die Grenze der Sterilität angelangt. Und wenn es schon so weit mit mir ist, dann wär‘ es vielleicht noch besser, wenn ich schon bei der von Aurel Mayr2 so enthusiastisch gefeierten |4| absoluten (oder wie er zu sagen pflegte: punzierten) Trottlosis3 halten würde! Aber dieser sich ab und zu noch regende falsche Appetit und dann die darauf folgenden argen Enttäuschungen und noch unerquicklicheren Indigestionen: das ist noch trauriger als die schließlich doch beruhigende Sicherheit, die einem das gänzliche Erlöschen der schönsten beiden Triebe gewährt.
Verzeihen Sie mir diesen unerfreulichen aber für mich einigermaßen doch wohltuenden Erguß herbstlicher Melancholie, und seien Sie recht herzlich und in treuer, dankbarer Liebe für all das Gute, was Sie mir erweisen, gegrüßt von Ihrem
Ergebensten
LKatona
Hab‘ ich Ihnen das alles nicht schon einmal geschrieben? Es will mir beinahe so vorkommen.
Graz, 2.1.’09.
1 Vgl. Stromateis; Grazer Festgabe zur 50. Versammlung Deutscher Philologen und Schulmänner, Graz: Selbstverl. d. Festausschusses [u.a.], 1909.
2 Aurel Mayr (1845-1914), Budapester Lehrstuhlinhaber für Indoeurpäische Sprachwissenschaften; vgl. HSA 06900-06902.
3 Wohl Neologismus für „langsames Dahintrotten“, diese ist „punziert“, d.h. wie in Leder eingeprägt. (Also nicht etwa „Vertrottelung“, sondern „Verlangsamung“).