Hugo Schuchardt an Lajos Katona (435-05067_473)

von Hugo Schuchardt

an Lajos Katona

Graz

02. 01. 1909

language Deutsch

Schlagwörter: Grazer Tagespost

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Lajos Katona (435-05067_473). Graz, 02. 01. 1909. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10621, abgerufen am 15. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10621.


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Graz, 2.1.’09.

Lieber Freund!

Es hat mich ausserordentlich gefreut endlich einmal von Ihnen ausführlich zu hören; so wurde wenigstens die Besorgnis zerstreut dass etwas zwischen uns oder etwas Besonderes mit Ihnen los sei. Freilich ist nun Ihr Brief etwas melancholisch; aber der Grund davon ist wohl frei nach Busch (und mit Umkehrung) zu formulieren: Alt sein ist nicht [gar so] schwer, alt werden desto mehr. Auch bei Männern; in höherem Grade allerdings bes. Frauen. Nehmen1|2| Sie es mir übel dass ich Ihnen eine Art Klimakterium zutraue? Dann nehme ich es übel dass Sie im Haus des Gehängten vom Strick reden, einem so uralten Menschen gegenüber wie ich es bin, über die Gebresten des Alters zu seufzen. Wenn ich auf die von mir empfundenen nicht eingehe, so dürfen Sie nicht glauben, sie seien nicht vorhanden. Ich will nur das Gute erwähnen, dessen ich mich erfreue.

My house, my castle. Ich fühle mich wirklich ein wenig als Burgherr. Zunächst weil ich nicht mehr Abmieter bin und keine Abmieter habe, sodann weil ich auf einem hochgelegenen Punkte bin und auf meine |3| nächste Umgebung, auch auf die Universität herabschaue. In diesem Augenblick z. B. ist es herrlich; am Horizont erhebt sich der rote Feuerball und schaut über die weisse Landschaft gerade in mein Studierzimmer herein. Ich habe einen für einen Junggesellen ziemlich grossen Garten in welchem ich mich hauptsächlich der Rosenkultur hinzugeben gedenke; so verbleibt auch dem Mummelgreis immer noch ein einigermassen femininer Umgang.

Über Unvermeidliches oder doch Zuerwartendes muss man sich hinwegsetzen, so auch darüber dass die Zahl der Freunde sich durch Wegzug |4| (in irgend ein anderes Land) immer mehr lichtet ohne dass Ersatz kommt. So zog im vergangenen Frühjahr mein langjähriger Freund Dr Rullmann2 (mir allerdings mehr durch Tarok und Gemüt als durch Wissenschaft verbunden) als pensionierter Tagespostredakteur in seine Heimat bei Fulda. Dass man aber noch auf andere Weise Einbusse im Verkehr erfährt, empfindet man schmerzlich. Beiliegend ein Dokument über einen solchen Fall.3 Ich kann Ihnen nicht auseinandersetzen wie ungerecht und ungerechtfertigt mir dem alten Mann, gekündigt worden ist. Nur zu Ihrer Erheiterung teile ich Ihnen mit dass der sehr gescheite und von mir geschätzte Sprachforscher in meinen Worten: „Ist das nicht Blut von Ihrem Blut? Nun schmollen oder grollen Sie doch wieder!“ eine Aufforderung zum Ärger erblickte (dann wäre auch: „Nun läugne nicht dass ich Dich liebe“ eine Aufforderung zum Lügen) und in dem einmal scherzhaft und besänftigend gebrauchten Ausdruck advocatus diaboli den Teufel selbst zu erkennen vermeinte. Elég erzel!4 Sie werden daraus dass es mir schwer wird mich vom Bekannten jüngeren Datums zu trennen, entnehmen können wie bitter ich es empfinden würde wenn sich alte Freunde von mir trennten.

Ihr und der Ihrigen herzlichst ergebener
HSch


1 Am unteren Briefrand der Satz: „wie steht denn die Sache Semayer?“, vgl. dazu insbes. HSA 05479 (18.1.1910).

2 Wilhelm Rullmann (1841-1918), österr. Schriftsteller u. Publizist; vgl. HSA 09814-09852. – Er stammte aus Bieber, Landkreis Gelnhausen, Kurfürstentum Hessen, und lebte seit 1879 in Graz, wo er nach einigen Jahren Chefredakteur der antiklerikalen Grazer Tagespost wurde.

3 Leider nicht begefügt; so kann der Kontext nicht erschlossen werden.

4 „Das reicht!“

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Bibliothek und Informationszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Handschriften und Alte Bücher. (Sig. 05067_473)