Hugo Schuchardt an Lajos Katona (393-05067_445)

von Hugo Schuchardt

an Lajos Katona

Graz

12. 12. 1904

language Deutsch

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Lajos Katona (393-05067_445). Graz, 12. 12. 1904. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10580, abgerufen am 12. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10580.


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Graz, 12 Dez 1904

Lieber Freund,

Ihren Brief1 beantworte ich – mit bestem Dank – sofort, weil sonst die Beantwortung sich sehr verspäten könnte (ich habe mir zu vielerlei für die nächste Zeit aufgehalst).

Zunächst meine besten Wünsche zum Jubiläum der Gemahlin; zartsinnig haben Sie mir das Datum ja verschwiegen. 25 Jahre Dienst! Das hätte ich nicht geglaubt, oder Ihre treue Gemahlin muss nicht viel älter als Irénke gewesen sein da sie sich in |2| Amt und Würden begab.

Dass Sie sich nun ganz in das Stillleben zurückziehen, entspricht zwar durchaus meinem eigenen Geschmack; ich bedaure aber doch dass Sie zunächst wohl nur innerlich, der Dozentur entsagen. Sehen Sie nicht zu Schwarz, wenn Sie meinen, Sie hätten keine Aussichten auf eine Professur? Sie sind ja doch allgemein geschätzt und beliebt.

Angesichts Ihrer drübigen sprachwissenschaftlichen Kämpfe kann ich von mir nicht sagen dass ich als tertius gaudeo.2 Zersplitterung ist dort noch weniger angezeigt als irgendwo. Rubinyi3 und Ballagi4 fechten nun auch im Lit. Ctrlbl. diese Kämpfe aus. Gott besser’s.

|3| Ich habe sofort die Nase in das „Bangenet“ gesteckt, kann aber, wenigstens vorderhand, die gewünschte Untersuchung nicht anstellen. Sie würde mich nicht nur durch alle deutschen und einige nicht-deutsche Dialektwörterbücher führen, sondern ich müsste mich auch in die Geschichte des Bajonetts auf deutschem Boden vertiefen. In seiner langen Arbeit „Fremdes im Wortschatz der Wiener Mundart“ sagt Gartner Ztschr. für hochdeutsche Mundarten IV, 275:

paŋgɐ·nét, jetzt päiɐ·nét, Bajonett H. W. 36 Banganed; N. egerl. Bankaned; Sch. tir. 29 bangenet; Fr. MA. VII (Hennebg.) Bankenett; L. nrhein. (Erfurt) bangenett.

(Die Abkürzungen bed. Hügel Der Wiener Dialekt Neubauer Die Fremdwörter im Egerland; Schöpf Tirol. Idiot. Fromann Die deutschen Mundarten Leithäuser Gallicismen in den niederrheinischen Mundarten. Da Erfurt in Thüringen liegt sl kann es von L nur beiläufig erwähnt worden sein; aber ich finde |4| Hertels Thüringer Sprachschatz S. 62 Bajonett s. Bañgenèd E. (rfurt)

[freiwillige Beilage: (unmittelbar darunter steht)

Bakonyer m. ungarisches Schwein: Bàχúner A.(ltenburg)]

Nun aber der Haupttreffer. Ich schaue, mehr zum Überfluss als in wirklicher Erwarung in Feilbergs grossem und teurem jüdischen Wörterbuch [bescheidener Titel: Bidrag til en Ordbog over jyske almuesmål)5 nach, welches durch seine eingehende Berücksichtigung aller folkloristischen Litteratur sehr wichtig ist, und ich finde daselbst (I, 41):

Darum sogn Reichssprache

bajonet, no. Subst. baqɘnæt æn (D.) = rgsm.; a so æn fransk sældåt, han gik mæ et bette bån på hans bangenet (Blich. Bindht.) [Blicher, Schriftsteller um die Mitte des 19. Jhrhs., gab u. A. heraus E Blindstouss (Erzählungen und Gedichte in jütischer Mdd.]

So viel wird genügen, um Ihnen zu zeigen wie ich die Sache führen würde. Ausserdem bin ich nicht Germanist und besitze nur wenige Hülfsmittel zu diesen Studien.

Mit herzl. Gr. Ihr
HSchuchardt


1 HSA 05460 (11.12.1904).

2 „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“.

3 Mozes Rubinyi (1881-1965), ungar. Linguist, später Präsident des ungar. PEN.

4 Aladár Ballagi (1853-1928), ungar. Sprachwissenschaftler.

5 Henning F. Feilberg, Bidrag til en Ordbog over jyske almuesmål, Kjöbenhavn, 1894-1904; 914 S.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Bibliothek und Informationszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Handschriften und Alte Bücher. (Sig. 05067_445)