Lajos Katona an Hugo Schuchardt (337-05441)

von Lajos Katona

an Hugo Schuchardt

Unbekannt

05. 10. 1902

language Deutsch

Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (337-05441). Unbekannt, 05. 10. 1902. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10524, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10524.


|1|

Hochgeehrter Freund!

Nun, da ich von Melich1 weiß, daß Sie wieder in Graz sind, will ich vor Allem für Ihre noch aus Wien an mich gerichteten lieben Zeilen danken. Der Grund, warum ich nicht in die Kaiserstadt hinaufreise, war allerdings kein besonders triftiger, aber es gesellte sich dann leider gerade an dem Tage, wo ich noch mit verhältnismässig leichter Mühe hätte loskommen können, |2| eine zwar nicht allzu schwere, aber doch gerade auf der Reise recht unangenehme Indisposition dazu, die wir Ungarn mit dem Beiworte „deutsch“ zu bezeichnen pflegen.

Wie geht es Ihnen, lieber Freund? Ich hoffe, der kühle September und sein nicht weniger kühler Nachfolger haben Ihnen doch nicht allzu viel Leides getan? Mich haben allerdings die letzten drei Wochen arg hergenommen, aber weniger die atmosph. als die sonstigen ungünstigen Verhältnisse, in die unsereiner |3| mit Anfange des Schuljahres nach leider nur allzu kurzen Ferien auf einmal wieder hineingestürzt wird. Ich sehe es nun ganz klar, dass ich mir in mancher Beziehung nur unrecht tue und mich auch an meiner Familie arg versündige, wenn ich es noch länger so treibe, wie in den letzten 3-4 Jahren, wo ich wirklich eine „Viehsarbeit“ verrichtet und dafür recht wenig Anerkennung geerntet habe. Ich will es nunmehr etwas vernünftiger einrichten und mir das Leben und diesem und jenem etwas weniger sauer machen. |4| Wenn es nur nicht bereits allzu spät ist!

Savj-Lopez2 habe ich gestern zum ersten Male gesprochen. Er hat einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht. Ob auch ich auf ihn, ist eine große Frage, da ich in sehr ungünstiger Lage ihm gegenüber stand, weil ich wegen seiner Mama, die ebenfalls zugegen war und eine sehr liebenswürdige ältere Dame ist, französisch zu parlieren genötigt wurde, was mir von Jahr zu Jahr schwerer fällt. Überhaupt zeigt sich das auch sonst merkliche mir allzu |5| frühe Nachlassen einer geistigen Elastizität am hervorstechensten in der immer geringeren Fertigkeit die paar fremden Sprachen, die ich mir angeeignet, im gesprochenen Worte zu beherrschen. Es mag auch an Mangel an Übung liegen, ferner an dem Umstande, daß mich seit einer Reihe von Jahren nur mehr das Stoffliche und nicht die Form an denselben interessiert, und ich auch während der Lecture nur auf den Inhalt und immer weniger auf den sprachlichen Ausdruck zu sehen pflege.

Mit herzlichen Grüßen von uns Allen
Ihr treu ergebener
LKatona
den 5. Okt. 1901


1 János Melich (1872-1963), ungar. Slawist; vgl. HSA 06970-06974.

2 Paolo Savj-Lopez (1876-1919), ital. Romanist; vgl. HSA 09977-09978. – Nachdem Farinelli in Pest abgesagt hatte, erging der Ruf an Savj-Lopez, der seinerseits absagte und ein Extraordinariat in Catania annahm.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05441)