Hugo Schuchardt an Lajos Katona (332-05067_495)

von Hugo Schuchardt

an Lajos Katona

Graz

19. 08. 1902

language Deutsch

Schlagwörter: Internationale Fischereiausstellung 1902 (Wien) Schuchardt, Hugo (1902)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Lajos Katona (332-05067_495). Graz, 19. 08. 1902. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10519, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10519.


|1|

Graz 19. Aug. [1902]1

Lieber Freund,

Ihr zweifach2 würde mehr in mein als Meringers Ressort gehören – wenn es begangen worden wäre (Sie schreiben: zwei Ferienreisen). Nun magna voluisse sat est; wir haben also eine neue Erscheinung: den lapsus Calami im Conatus.

Ihre Frage gibt mir einen sehr erwünschten Anlass mich über meine Lebensweise zu äussern3 die bei Unvorbereiteten geradezu Grauen erregt, obwohl |2| sie vorzeitlich=ländlich=natürlich ist. Sie beraubt mich allerdings jeder auf Einladung beruhenden Geselligkeit; ich habe daher versucht sie wenigstens zeitweilig zu ändern, aber ohne Erfolg und mir zur Qual. Morgenstund ist aller Laster Anfang, kann ich auch bei mir sagen. Ich wache unglaublich früh auf, bei Tagesgrauen, kann nicht wieder einschlafen, erwarte mit Ungeduld den Kaffee der gleich nach 6 Uhr mit der Zeitung erscheint – um ½ 12 Uhr speise ich im Elefanten (im Garten) und gehe dann nach Hause um da den Kaffee zu trinken – um 6 Uhr oder noch früher jause ich eine kalte Kleinigkeit mit Bier oder Wein, – sinke zwischen ½ 9 und 9 Uhr todmüde in mein Bett, wo ich noch einen Tee mit |3| Backwerk geniesse. Kleine Verschiebungen sind unter günstigen Umständen möglich; so könnte ich das Mittagessen bei dem ich Sie doch immer als meinen Gast zu sehen hoffe, hinaus rücken, indem vorher irgend Etwas Anderes als das Gewöhnliche geschieht. Am Spätnachmittag könnten wir, sei es mit Elektricität, sei es mit Pferde –, sei es mit eigenen Füssen bei schönem Wetter Ausflüge in die Umgegend machen und uns irgendwelchen ländlichen Genüssen hingeben. Für den Abend könnte in der Weise gesorgt werden dass Sie in der Gesellschaft der verschiedenen Junggesellen oder Pseudo-junggesellen (Strohwitwer u. dgl.), wie Pogatscher, Cornu, Ive, Meringer (vielleicht kommt auch Murko4 inzwischen zurück) trinken und essen. |4| Abends verfalle ich nämlich wirklich unüberwindlichen Mächten. Ich würde Sie sehr gern eingeladen haben, bei mir zu wohnen; es geht aber nicht. Die Marie sagte gleich (sie ist sonst sehr koulant) „es ist kein Platz da“, und Sie werden sehen dass sie Recht hat. Aber für mich ist wesentlicher dass ich durch einen Logierbesuch meine ohnehin kümmerliche Nachtruhe verlieren würde. Jedes Geräusch in den beiden seitig anstossenden Zimmern würde mich aufstören, und ich selbst würde durch meinen Morgenlärm einem Andern der darin einen Nachtlärm sehen würde, wenig Annehmlichkeit bereiten. Der Elefant ist zwar weit, aber mit der Elektrischen leicht und rasch zu erreichen; die Goldene Birne ist ganz in meiner Nähe, wie Sie wissen; der Gasthof hat sich wie ich höre sehr gehoben, besonders was |5| die Küche anlangt, aber ich habe wie die Germanisten sagen, gar kein „Verhältnis“ zu diesem Gasthof. Ich weiss also nicht ob man dort Jemanden gern logirt der nie daselbst speist. Vor zwei Jahren hatte ich dort allerdings Freund J. Leite de Vasconcellos5 untergebracht.

Ich bin auch gerade dabei eine längere (kaukasistische) Recension abzuschliessen,6 und will mich dann bevor ich im Sept. zur Fischereiausstellung nach Wien gehe, wieder etwas in die Fischerei stürzen.

Ist Savi Lopez ernannt?7 Ich halte den Budap. Hirlap nicht mehr, um mich sprachlich nicht zu sehr verwirren, da ich jetzt georgische Zeitungen les. Übrigens hat mich die Administration durch ihre |6| Adressirungen nicht wenig geärgert; ich adressire dorthin magyarisch, so können sie an mich deutsch adressiren. Als ich das Tek. Dr. Sch. H. satt hatte (unsere Briefträger stolpern schon über einfachere Probleme) und um Anderes bat, setzte man auf die Bandschleife M. H. Sch., wobei ich in Zweifel war ob das M. Mister oder Monsieur bedeutete. Also das wäre auch überstanden; die Feuilletons gefielen mir überhaupt in der letzten Zeit nicht besonders – ich hatte die Noveletten von Herceg immer sehr gern gelesen.8 – Ihre Frau Gemahlin wird hoffentlich so tief in ihrer Aufräumerei stecken dass es ihr nicht zum Bewusstsein kommen wird was für ein verrücktes Huhn ich bin. Sonst lässt Sie Sie am Ende nicht vor [gem. fort?]. Als Mann werden Sie den Schrecken die Sie erwarten mutig entgegengehen. In grösster Eile

Ihr ergebener
HSch.


1 Die „Internationale Fischereiausstellung“ in Wien, die 1902 stattfand, liefert die Jahreszehl

2 Vgl. 05440 (18.8.1902).

3 Das nun Folgende findet sich in vergleichbarer Form in Ms 5067-474 (5.1.1910).

4 Mathias Murko (1861-1952), slowen. Slawist in Graz, Leipzig und Prag; vgl. HSA 07609-07634.

5 José Leite de Vasconcellos (1858-1941), portug. Romanist, Ethnologe und Folklorist; vgl. HSA 06319-06366.

6 Vermutlich Schuchardt, „Árja és kaukázusi elemek a finn-magyar nyelvekben. I. kötet. Magyar szójegyzék s bevezetésül: A kérdés története“, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 16, 1902, 286-297.

7 Paolo Savj-Lopez (1876-1919), ital. Romanist; vgl. HSA 09977-09978. - Nachdem Farinelli in Pest abgesagt hatte, erging der Ruf an Savj-Lopez, der seinerseits absagte und ein Extraordinariat in Catania annahm.

8 Franz Herzog, später Herczeg Ferenc (1863-1954), ungar. Schriftsteller und Parlamentsabgeordneter.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Bibliothek und Informationszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Handschriften und Alte Bücher. (Sig. 05067_495)