Hugo Schuchardt an Lajos Katona (242-05067_354)

von Hugo Schuchardt

an Lajos Katona

Graz

02. 01. 1899

language Deutsch

Schlagwörter: Volkskundemuseum Wien

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Lajos Katona (242-05067_354). Graz, 02. 01. 1899. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10430, abgerufen am 21. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10430.


|1|

Graz 2. Jänner 99.

Lieber Freund,

Von den gedankenlosen „Prost-Neujahr!“ die man um diese Zeit hören muss, hebt sich Ihr und der Ihrigen Glückwunsch tröstend und zum Herzen gehend ab und von Herzen erwidere ich ihn und mit ganz besonderer Zuversicht, da ich von Ihnen erfahre dass er wenigstens |2| in zwei Punkten, aber den allerwichtigsten (und doch nicht gleich wichtigen) bald in Erfüllung gehen wird.

Von dem einen bevorstehenden Ereigniss glaub‘ ich ohne Indiskretion Freund Gaidoz1 dem ich gerade schreibe, Mitteilung machen zu dürfen.

Was die Spindelangelegenheit anlangt,2 so bitte ich Sie der strafenden Gerechtigkeit in den Arm zu fallen. Es war mir nur darum zu thun: welche Spindelform wohl in Ungarn auf dem Lande üblich ist, d. h. welche von den dreien |3| (spiralförmiges, und eingekerbtes mit Häkchen versehenes oberes Ende) die ich Ihnen wohl schon bezeichnete. Ich werde übrigens von nun an mit dergleichen Anfragen sehr vorsichtig sein. Die Damen, darunter auch Frau Carolina Michaëlis Vasconcellos in Porto haben sich theoretisch und praktisch so in die Sache vertieft dass ich mir wegen Zeitdiebstahls die lebhaftesten Vorwürfe mache; Andere, so eine Dame in Italien, schickte mir schöne Zeichnungen von Kunkeln, für die ich mich vorderhand gar nicht interessire, ein ganzes Spinnrad ist mir schon ins Haus gebracht worden, auf dem ich Nichts Anderes |4| als Trübsal zu spinnen weiss. Andere versprechen ohne zu halten oder schweigen ganz – offenbar erdrückt durch den Umfang der ihnen vorgelegten ungeheuerlichen Probleme. Nur wenige halten die Mittelstrasse ein (so Mistral); drei Zeilen und ein Dutzend roher Striche – und das genügt mir.

Seitdem ich mein Interesse, spät genug! von den Wörtern zum Theil auf die durch sie bezeichneten Dinge abgelenkt habe, falle ich allerseits lästig. Jüngst habe ich auch begonnen mich etwas mit Prähistorie zu beschäftigen, und da gewährt |5| mir denn Budapest einen neuen Anziehungspunkt. Freilich bin ich immer weniger in der Lage den verschiedenen Ausrichtungen nachzugehen. Meine häufigen und längeren Aufenthalte in Gotha und meine eigenen Gesundheitsverhältnisse lassen meinen Arbeiten so wenig Zeit übrig dass ich diese nicht noch mehr zersplittern möchte. Ich komme mit dem Vielen das mir am Herzen liegt so gar nicht vorwärts.

Elég eszel.3 Ich hoffe Sie Beiden doch im Laufe dieses Jahres sei es dies: sei es jenseits der immer stärker anschwellenden Leitha begrüssen zu können |6| und Sie nicht allein.

Herzlichst
Ihr ergebener
Hugo Schuchardt


1 Henri Gaidoz (1842-1932), franz. Keltist; vgl. HSA 03211-03307.

2 Schuchardts „Sammlung“ befindet sich heute im Volkskunde-Museum Wien; spezifisch ungarische Stücke konnten nicht ausgemacht werden.

3 Frei übersetzt etwa „reichlich Stoff“ oder „reichlich Projekte“ (wtl. genug zu essen).

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Bibliothek und Informationszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Handschriften und Alte Bücher. (Sig. 05067_354)