Lajos Katona an Hugo Schuchardt (232-05405)
von Lajos Katona
an Hugo Schuchardt
14. 09. 1897
Deutsch
Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (232-05405). Budapest, 14. 09. 1897. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10420, abgerufen am 09. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10420.
II. Csalogány-u. 43.
14.IX.1897.
Lieber Herr Professor!
Sie haben mit Ihren heissersehnten Zeilen uns beiden eine Centnerlast vom Herzen (wir haben nur eins) genommen. Noch gestern haben wir – wie schon so oft – Ihrer mit schwerer Besorgnis gedacht und ich, der ich im allgemeinen zu pessimistischen Vermutungen geneigt bin, war diesmal ausnahmsweise noch der mässigere im Ausdenken aller Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die Ihr langes Schweigen erklären könnten.
|2| Hieraus mögen Sie nur so viel ersehn, dass Sie uns beiden recht tief ins Herz gewachsen sind, und so können Sie wohl denken, wie hastig und mit welch freudig-banger Erwartung ich heute nach Ihrem Briefe griff, der mir wenigstens einen Teil meiner Besorgnisse unbegründet erscheinen liess. So ganz ohne Sorgen für Ihre teure Gesundheit und Ihr allgemeines und specielles Wohlsein kann ich aber so lange doch nicht sein, bis ich Sie, lieber verehrter Freund, nicht in der zar- |3| ten Obhut und Pflege eines ähnlichen Schutzengels weiss, wie mir einen der gütige Himmel geschenkt hat. Sie sehn hieraus, dass der Eh[e]mann bereits auf festem Wege ist den Hagestolz zu lehren; wenn nur der Letztere nicht gar zu „stolz“ wäre, sich hübsch gelehrig in den süssen „Hag“ zu begeben. (Schauderhaftes Wortspiel auf volksetymologischer Basis, aber treffliche Gesinnung darunter, und da kann man schon einmal bonne mine au mauvais jeu* (* Der gegenwärtig bei uns weilende deutsche Kaiser macht angeblich noch ärgere. Z. B. Totiser, tot is er !!!)1 machen.
Der erschütternde Fall des armen |4| G. Meyer ist mir sehr zu Herzen gegangen.2 Ich hatte keine Ahnung von seinem beklagenswerten Zustande und erhielt aus Ihrem Briefe die erste Kunde davon. Allerdings war mir seinerzeit, bei meinem letzten Grazer Besuch, seine menschenscheue Melancholie aufgefallen. Was für ein schwachses Geschöpf ist doch Pascal’s roseau pensant,3 wenn auch so ein Kraftmensch so leicht zusammenknicken kann! Da war ja unser armer G. Volf,4 den wir morgen beerdigen, eine Jam- |5| mergestalt und der reinste Schneidergesell gegen ihn. Und doch hat ihm gestern jählings ein Herzschlag den Garaus gemacht. Wir alle, die ihm näher standen, betrachteten in ihm einen redlichen Arbeiter und guten Menschen. (Mir war er mehr.) Der Tod hält bei uns besonders in den ohnehin recht dünn besaeten wissenschaftlichen Gefilden reiche Auslese und gerade |6| die allerbesten ruft er vorzeitig von ihrem Posten, wo sie zumeist unersetzbar bleiben. Nach P. Hunfalvy,5 Budenz6 und Szarvas,7 den drei Altmeistern der magyar. Sprachwissenschaft folgt nun ihr getreuester Schildknappe und vielleicht der geharnischste von allen. Sie werden sich wohl noch seiner ergötzlichen Fehde mit dem guten O. Asbóth8 erinnern. Wer wird |7| nun fortan für den gehörigen Verdauungsärger des letzteren sorgen? Der arme Volf hat sich übrigens besonders in letzter Zeit überarbeitet. Das thun ja die meisten, die es halbwegs ernst mit ihrer Aufgabe nehmen. Mein teures Weib ist über den Fall und so manchen ähnlichen so bestürzt, dass sie lieber gar nichts von den magyarischen Jakobinern (??) hören, als mich an overworking zugrunde gehen sehn will. |8| Da habe ich alter Faulpelz (unter uns) jetzt wenigstens die schöne Ausrede, dass ich aus reiner Liebe zu meinem lieben Weibe kein Kirchenlicht in templo Minervae werden kann. Hand auf’s Herz, ist es auch mehr wert im Tempel der holderen Göttin (natürlich nur vor einem Heiligenbild) zu opfern. Mit den besten Wünschen für Ihre und Ihrer hochgeschätzten Frau Mama Gesundheit, die herzlichsten Grüsse von uns beiden.
Ihr treu ergebener
Katona.
Ihren Brief an Alexis9 werde ich recht gerne an den Adressaten befördern.
1 Totis (ungar. Tata), Stadt mit Barockbauten im Komitat Komárom/Komorn. Ein „Totiser“ wäre demnach ein Einwohner von Totis. Ansonsten machte der Kaiser den Magyaren jedoch Komplimente!
2 Der Grazer Sprachwissenschaftler Gustav Meyer (1850-1900) war in diesem Jahr schwer psychisch erkrankt und musste infolgedessen seine Professur aufgeben.
3 Blaise Pascal nennt den Menschen in seinen Pensées ein „roseau pensant“, einen schwachen, aber „denkenden“ Schilfhalm (vermutlich auch ein Wortspiel zwischen penchant und pensant / knickend und denkend!).
4 György Volf / Georg Wolf (1843-1897), ungar. Sprachwissenschaftler; vgl. HSA 12515-12520.
5 Pál Hunfalvy (1810-1891), ungar. Sprachwissenschaftler und Ethnograph.
6 Joseph Budenz (1836-1892), ungar. Finnougrist.
7 Gabor Szarvas (1832-1895), ungar. Sprachwissenschaftler.
8 Oszkar Asbóth (1852-1920), ungar. Slawist.
9 György Alexics (1864-1936), ungar. Sprachwissenschafler; vgl. HSA 00031-00046.