Hugo Schuchardt an Lajos Katona (231-05067_349)

von Hugo Schuchardt

an Lajos Katona

Gotha

11. 09. 1897

language Deutsch

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Lajos Katona (231-05067_349). Gotha, 11. 09. 1897. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10419, abgerufen am 09. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10419.


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Gotha, Siebleberstr. 33
11 Sept. 97

Lieber Freund,

Sie werden es sehr undankbar von mir finden dass ich auf Ihren schönen „Jubiläums“-brief vom 13 Juli1 nicht baldigst geantwortet habe. Allein ich habe mich in den letzten Monaten in einem solchen Zustande nervöser Abspannung befunden dass mir schon die rein mechanischen Lebensfunktionen zur Last waren. Den Löwenantheil an der ungünstigen Beein- |2| flussung meiner Nerven hatte zwar auch diesmal das Wetter; dazu kam aber manches Psychische, vor Allem der Eindruck, den mir G. Meyers Schicksal machte (er wurde Anfang Juni in die Irrenanstalt Feldhof übergeführt).2 Es war bald nach Mitte August, ich fühlte wieder ein wenig Lebensmuth und körperliche Kraft in mir und wollte mich gerade nach Herkulesbad begeben, als ich durch ein Telegramm nach Gotha gerufen wurde. Meine Mama hatte einen Schlaganfall erlitten der sich glücklicherweise als ein leichter herausstellte. Sie hat sich wieder leidlich erholt; doch ist ihr Gedächtniss - wie sie selbst lebhaft empfindet – in Bezug auf Namen und ungewöhnliche Worte |3| sehr geschwächt. Immerhin ist ihr Zustand ein solcher dass er mir erlauben würde, für einige Wochen mich von hier zu entfernen und dann im Oktober wieder hierher zurückzukehren. Ich bin allerdings der Erholung dringend bedürftig; aber nun ist das Wetter andauernd so schlecht, dass erstens ein Aufenthalt in sogenannten schöneren Gegenden auch nicht schöner sein würde als mein hiesiger sodann mir auch alle Kraft und Lust zum Reisen benommen ist. Also gilt es Abwarten.

Und nun, nach diesen pflichtgemässen Entschuldigungen, wieder zu Ihrem lieben Brief, an dem ich |4| nur das Eine auszusetzen habe dass er von mir allzuviel Gutes, ganz Unverdientes behauptet. Als mich im Juni Alexics Gy. (mit Gattin)3 in Graz besuchte, habe ich mich Ihrer romanistischen Anfänge mit „regrets“ erinnert: indessen ganz resignirt bin ich noch nicht; Ihre Abhandlung, für die ich bestens danke,4 hat in mir die Hoffnung wach gerufen, Sie dereinst noch als Jakob Grimm der Magyaren begrüssen zu können. Und sollte auch diese Hoffnung fehl schlagen – ich kann Ihnen nur wiederholen: Sie haben die beste Carrière eingeschlagen und in ihr den besten Erfolg gehabt. Ich hätte Lust frei nach Goethe zu sagen: „ein Ehemann kann einen Hagestolz lehren“5 und Sie fortan meinen „werthen Meister“ zu nennen. Ich bitte mich derjenigen wärmstens |5| zu empfehlen, die Ihnen zu dieser Meisterschaft verholfen hat.

Lassen Sie bald wieder einmal von sich hören; ich hoffe dann auch ein pünktlicherer Antwort[er] zu sein.

Hätten Sie die Güte beifolgendes Billet mit einer Strassennummer und einer Briefmarke zu versehen, und in einen Briefkasten zu werfen? Ich würde das, was darin steht, zu gelegentlicher mündlichen Uebermittelung anvertraut haben; ich weiss aber nicht ob Sie sich überhaupt je mit A.6 sehen.

Mit herzlichem Grusse
„treu angeeignet“ (Goethe)
HS.


1 Vgl. HSA 05404.

2 Gustav Meyer (1850-1900), deutsch-österr. Indogermanist und Sprachwissenschaftler; zeitweise Schuchardts Wohnungsnachbar und Weggefährte.

3 György Alexics (1864-1936), ungar. Sprachwissenschaftler; vgl. HSA 00031-00046; verh. mit Jolanthe von Alexics.

4 Katona, Mythologiai irányok és módszerek, Budapest: [Hornyánszky], 1896 [= Mythologische Richtungen und Methoden].

5 Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, 1808. Nacht, Wagner zu Faust: „Ich hab es öfters rühmen hören / Ein Komödiant könnt‘ einen Pfarrer lehren“.

6 Alexics?

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Bibliothek und Informationszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Handschriften und Alte Bücher. (Sig. 05067_349)