Lajos Katona an Hugo Schuchardt (139-05379)
von Lajos Katona
an Hugo Schuchardt
24. 11. 1889
Deutsch
Schlagwörter: Ethnologische Mittheilungen aus Ungarn Corssen, Wilhelm (1858–1859) Van Name, Addison (1869–1870) Gaidoz, Henri/Sébillot, Paul (1886) Schuchardt, Hugo (1883)
Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (139-05379). Budapest, 24. 11. 1889. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10326, abgerufen am 22. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10326.
Budapest, Országház-uzca 19.1
24.XI.89.
Hochgeehrter Herr Professor!
Es thut mir sehr leid Sie gerade jetzt, wo auch Ihre alte Liebe zum Kreolischen erwacht ist, mit meiner Bitte gestört zu haben. Doch will ich gerne auf die erbetenen Werke verzichten, wenn ich nur weiß, daß meinem Wunsche nur darum nicht entsprochen werden kann, weil Ihre frühere Arbeitslust wiedergekehrt ist und Sie zu dem für eine Weile bei Seite gelegten Gegenstand zurückgeführt hat.
Eines habe ich mit meiner ungestüm auf Sie eindringenden Bitte doch erreicht, und das ist die Reihe wertvoller Bemerkungen, die in Ihren Brief eingestreut sind und aus denen ich wieder so Manches gelernt habe. Die Hauptschwierigkeiten im phonetischen Teile sind mir übrigens bei Ausarbeitung desselben klar genug ins Bewußtsein getreten. Doch finde ich, daß diejenigen, welche sich einer |2| Darstellung des Lautbestandes anderer als unserer eigenen Muttersprache oder uns ganz (?) vertrauter Idiome entgegenstellen, kaum geringer als in diesem Falle sein dürften. Oder haben wir vielleicht eine genaue Kenntnis jener Sprachenschicht, auf die das Lateinische in Italien sich zu lagern kam als die, so wir uns von den Negersprachen verschaffen können, deren Lautbestand die französisch-kreolischen Mdd. beeinflußt hat? Und doch hat Corssen „Über Aussprache, Vocalismus und Betonung der lat. Sprache“2 geschrieben, um anderer Werke ähnlicher Natur hier gar nicht zu gedenken. Ich weiß sehr gut, daß dieser Vergleich nicht minder als die anderen hinkt, dessenungeachtet glaube ich angesichts der Papierberge, die auf Kosten unserer Akademie über die künstlich reconstruierte finnisch-ugrische Ursprache aufgehäuft worden sind, ein paar Seiten mit der anspruchslosen und auf jeden Versuch der Erklärung der nicht genügend aufgestellten bescheiden verzeichneten Zusammenstellung der Correspondenz französischer und kreol-französischer Laute füllen zu dürfen, |3| zumal eine solche Gegenüberstellung einer aus lauter Quellen zu schöpfenden späteren Berichtigung nicht im Wege steht, sondern vielmehr derselben einigermaßen vorarbeitet. – Einer übersichtlichen Darstellung der Flexion* (* oder eigentlich Dem, was hier an ihre Stelle getreten, –) soll meine ganze Sorgfalt gewidmet sein, und soweit eine solche an der Hand des spärlichen, für einige Mdd. (Haïti, Trinidad, Cayenne) ganz ungenügenden Materials möglich war, ist dies schon geschehen, so daß hoffentlich dieser Teil meiner Arbeit auch Sie, Herr Professor, befriedigen dürfte.
Nun sagen Sie in Ihrem Briefe, daß Sie Texte leichter entbehren könnten. Die sind es aber, die ich am meisten brauche. Wenn Sie also Einiges dieser Art (und ich wiederhole es, nur auf frz.-kreol. Mdd. bezügliche) bei Ihren Arbeiten ganz und gar nicht benötigen, so bitte ich Sie hiermit nochmals, mir das Betreffende gütigst auf eine von Ihnen zu bestimmende, ganz kurze Dauer überlassen zu wollen. Über die Zusammenstellung von Addison van Name,3 die mir – wie übrigens noch so Manches, was bei Gaidoz-Sébillot4 nicht verzeichnet und von Ihnen in der R. Cr.5 nicht nachgetragen oder sonstwo nicht angezeigt – unbekannt war, möchte ich gerne Näheres |4| erfahren. Vielleicht könnte ich mir dieselbe dann kommen lassen. Herr Dietrich6 wird hoffentlich so freundlich sein mir seinen Thomas, wenn er das Werk eben nicht benötigt,7 auf einige Wochen zu überlassen. Ich will ihn darum gleichzeitig mit diesem Schreiben ersuchen.
Was Sie über Krauß8 schreiben, war mir – der Regierungsartikel ausgenommen – bekannt und niemand hegt vielleicht einen tieferen Widerwillen gegen das Gebaren dieses Herrn als ich, der ich mir über ihn sowohl aus seinem eigenen, teils an Hermann,9 teils an andere Folkloristen gerichteten und mir bekannt gewordenen Briefe, als auch aus den berechtigten Klagen gar Vieler, die er angelogen oder verleumdet, schon längst ein Urteil gebildet habe. Mir ist er bisher, eine ekelhafte Schmeichelei vor einigen Tagen abgrechnet, – noch nicht nahe getreten. Herrmann steht allerdings in Connexion mit ihm und hält große Stücke auf seine folkloristischen Verdienste, die ich keineswegs verkleinern will; über den Charakter des guten Mannes ist aber auch H., übrigens der Naivste der Sterblichen – genau informiert. So auch über das früh genug erwachte und bereits weit und breit grassierende „odium folklo- |5| loricum“, von dem mir gerade in allerletzter Zeit hübsche Pröbchen vor Augen kamen. Bei uns hierzulande wird es kaum besser gehen, sobald wir nur ein bischen im Schwunge sind, zumal hier noch so Manches nebenbei läuft, was anderso ganz aus dem Spiel bleiben darf. Herrmann hat es glücklicherweise schon so weit gebracht der Sache einen ganz überflüssigen politischen Beigeschmack zu geben, um sie unseren lieben Compatrioten mundgerechter zu machen. Ich gedenke mich nunmehr, seitdem ich einen tieferen Einblick in das ganze Treiben genommen, von der eigentlichen Mache so fern zu halten wie nur möglich und will ausschließlich im Dienste der unparteiischen, ich hätte beinahe gesagt: indifferenten Wissenschaft bleiben, so weit derselben durch das undankbare Geschäft strenger Kritik gedient ist, auf die ich mich bei meiner inproductiven Eigenart beschränken muß.
Seien Sie mir, hochgeehrter Herr Professor, wegen dieses neueren Versuches von Ihnen Etwas herauszubetteln nicht böse und bleiben Sie auch ferner mit Rat und That mein einziger väterlicher Freund, dem ich stets in dankbarer Hochachtung ergeben sein werde.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Katona.
Über Ujfalvy10 ist mir seit langer Zeit nichts bekannt.
1 Katona schreibt mal „uzca“, mal „utzca“!
2 Paul Wilhelm Corssen, Über Aussprache, Vokalismus und Betonung der lateinischen Sprache. 1, Leipzig (1858) u. ö.
3 Addison Van Name (1835-1922), US-amerikan. Philologe; Verf. von Contributions to Creole Grammar, Hartford, Conn.: Assoc., 1871.
4 Henri Gaidoz-Paul Sébillot, Bibliographie des traditions et de la littérature populaire des Frances d’outre-mer, Paris 1886.
5 Vermutlich ist gemeint Schuchardt, „Bibliographie créole“, Revue critique d’histoire et de littérature 17, 1883, 314-318.
6 Adolphe Dietrich, Grazer Student.
7 Nicht klar, welches Werk von Antoine Thomas (1857-1935) gemeint ist.
8 Friedrich Salomon Krauss (1859-1938), österr. Folklorist und Ethnologe.
9 Anton Herrmann (1851-1926), ungar. Ethnologe, lange Zeit Lehrer, 1898 in Klausenburg für Volkskunde habilitiert; gründete 1887 gemeinsam mit Katona und Heinrich Wlislocki die „Ethnologischen Mitteilungen aus Ungarn“, die sich die Erforschung aller Nationalitäten (Volksgruppen) Ungarns zum Ziele gesetzt hatte; vgl. auch HSA 04667-04669.
10 Karl Eugen von Ujfalvy (1842-1904), ungar. Orientalist u. Anthropologe; vgl. HSA B 11999-12001.