Hugo Schuchardt an Lajos Katona (138-05067_286)
von Hugo Schuchardt
an Lajos Katona
22. 11. 1889
Deutsch
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Lajos Katona (138-05067_286). Graz, 22. 11. 1889. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10325, abgerufen am 09. 12. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10325.
in arger Eile!
Graz 22 Nov. 89
Lieber Freund,
Es steht in völligem Einklang mit meinen – wie Sie wissen, lebendigen und aufrichtigen Wünschen für Ihr inneres und äusseres Fortkommen – dass Sie sich mit der Ausarbeitung einer sprachwissenschaftlichen Abhandlung beschäftigen. Aber um das Wichtigste gleich herauszusagen, von dem was Sie brauchen (denn Sie haben nicht Alles genannt, z. B. nicht die so wenig bekannte Zusammenstellung von Addison van Name)1|2| möchte ich Einiges jetzt wenigstens nicht gern missen. Ich habe gerade die leidige Korrektur von 60 Seiten Kreolische Beiträge2 (Negerport. von Ilha do Principe, Allgemeines über das Indoportugiesische, Indoport. von Cannanore und Mahé) hinter mir und bin bei der Revision einer anderen noch längeren Arbeit über das Malaioportugiesische,3 welches in einem kleinen Dorfe auf Java gesprochen wird. Diese Arbeit, in welcher ich das „Höchste“ was es an Sprachmischung gibt vorzuführen gedenke liegt schon seit dem Sommer 1888 fertig da und bedarf nur der Feile und Ergänzung. Im vorigen Winter wo ich alle Lust an aller „Philologie“ verloren hatte, glaubte ich damals nie damit an die Öffentlichkeit zu treten [Text: treten würde]; jetzt interessirt sie mich wieder, und ich getraue mir obwohl ich viel Anderes noch |3| zu thun hätte, nicht sie wieder beiseitezulegen. Bei mir heisst es carpe diem. Da ich aber darin vorzüglich die innere Sprachform behandele, so möchte ich den Einblick wenigstens in die Grammatiken der andern kreol. Diall. – Texte könnte ich entbehren – zu jeder Zeit frei haben (gerade Coelho brauchte ich am Meisten, da er Malaioportugiesisches aus Singapore hat). Schon öfters habe ich bloss weil ich ein Citat nicht nachsehen konnte, die Fertigstellung gewisser Arbeiten aufgeschoben. Ich habe mir, beiläufig gesagt, jetzt von auswärtigen Bibliotheken verschiedene Bücher, blos um einzelner Citate willen, kommen lassen, und da ist es mir passirt, dass ich im Taprobanian (der auf Ceylon erscheint) über (??) Ceylon-portuguese literature meine eigene |4| druckt worden ist (mit Ausnahme des „Märchens vom gestiefelten Kater“ von E. Trouette4 in der Revue de linguistique5). Ich sehe ein dass Sie allen Grund haben, Ihre Arbeit so bald als möglich ans Tageslicht zu fördern. Aber da wie ich bei andern Gelegenheiten gesehen habe, meine Aufrichtigkeit Sie nicht etwa abschreckt, so möchte ich doch bemerken, dass ich die kreolisch-franz. Mdd.6 lieber von einer andern als der phonetischen Seite behandelt gesehen hätte (sehr interessant wäre z. B. die Wiedergabe der Tempora). Einmal weil diese hier überhaupt das weniger Wesentliche ist, sodann weil sie mehr als ein Anderes die Kenntniss der afrikanischen |5| Sprachen oder besser gesagt eine weit umständlichere derselben voraussetzt (z. B. bei der Behandlung der kreolischen Tempora könnte man mit Fr. Müllers Paradigma auskommen)7 und endlich weil die Schreibung der französischen Schriftsprache die des Kreolischen überall aufs Ungünstigste beeinflusst hat und man jeden Augenblick in Zweifel über die richtige Aussprache ist (besonders ist Héry8 sehr unzuverlässig). Alles das habe ich auch Herrn Dietrich9 zu wiederholten Malen gesagt.
Ich hatte eine so lange Pause mit meinen kreolischen Studien gemacht; es thut mir unendlich leid dass Sie mich gerade jetzt mit jener Bitte angehen. |6| Aber Sie dürfen sich nicht wundern, dass ich so gar nicht darauf gefasst war. Wenn ich mich, wie Sie ja wissen, über Ihre Vorliebe fürs Kreolische immer etwas gewundert habe, so dachte ich dass gerade das Lautliche Ihnen ferne läge. Wenn ich nicht irre, haben Sie mir das auch, als ich Sie einmal zu einem Versuche aufforderte, eingestanden. Ich muss hoffen dass die bewusste Angelegenheit sich etwas in die Länge zieht, zugleich aber auch dass nicht irgend ein neuer Kandidat – Ujfalvi10 z. B. – auftaucht.
Der Folklore scheint ein sehr günstiges Terrain für das bellum omnium contra omnes abzugeben. Dinge wie zwischen Sébillot und |7| Gaidoz scheinen sich auch anderswo abzuspinnen. Sie stehen wahrscheinlich in irgend einer näheren Beziehung zu Friedr. Krauss (jetzt Regierungsrath).11 Was ich von ihm gehört habe, lässt mich annehmen dass er – unbeschadet der wirklich grossen Verdienste die er als Sammler hat – ein arger „faiseur“ und sogar Schwindler ist, einer von Jenen die nur zwei Tonarten die des Schmeichelns, und die des Schimpfens zu kennen scheinen und damit ganz wie es ihrem persönlichsten Interesse entspricht, abwechseln. Eine kleine Erfahrung die ich selbst mit ihm hatte, spielt bei meinem Urtheil keine Rolle. Dies ganz unter uns, und mehr als eine Warnung zur Vorsicht für Sie, denn als etwas Anderes.
Dass Szarvas N° 112 noch einmal hat setzen lassen, darüber bin ich fast erschrocken. Ich werde also das Ganze zusammen bekommen? – Eine eben mir zugestossene Ärgerlichkeit bereitet diesem Briefe ein vorzeitiges Ende.13
Herzlichst Ihr
HS.
1 Addison Van Name (1935-1922); US-amerik. Bibliothekar und Philologe, Verf. u. a. von Contributions to Creole grammar, Hartford, Conn.: 1871.
2 Schuchardt, „Beiträge zur Kenntnis des kreolischen Romanisch IV. Zum Negerportugiesischen der Ilha do Principe“, Zeitschrift für romanische Philologie 13, 464-475; Ders., „Beiträge zur Kenntnis des kreolischen Romanisch VI. Zum Indoportugiesischen von Mahé und Cannanore“, Zeitschrift für romanische Philologie 13, 1889, 516-524.
3 Schuchardt, „ Kreolische Studien IX. Ueber das Malaioportugiesische von Batavia und Tugu“, Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Wien 122, 1890, 1-256.
4 Émile Trouette (keine Daten), Lehrer auf La Réunion; vgl. HSA 11845-11861.
5 Trouette, „Le conte du Chat botté en patois créole de l’île de la Réunion“, Revue de linguistique et de philologie comparée 16, 1883, 64-71; vgl. Schuchardt, „Sur le créole de la Réunion“, Romania 11, 1882, 589-593.
6 „Mundarten“.
7 Friedrich Müller (1834-1898), österr. Sprachwissenschaftler; vgl. HSA 07571-07585; Verf. von Einleitung in die Sprachwissenschaft, Wien 1876.
8 M. L. Héry, Fables créoles et explorations dans l'intérieur de l'île Bourbon. Esquisses africaines, Paris: Rigal, 1883.
9 Vermutlich der Grazer Student Adolphe Dietrich.
10 Karl Eugen von Ujfalvy (1842-1904), ungar. Orientalist u. Anthropologe; vgl. HSA B 11999-12001.
11 Friedrich Salomon Krauss (1859-1938), österr. Ethnologe und Slawist.
12 Schuchardts Beitrag „A magyar nyelv román elemeihez“, Magyar Nyelvőr 18, 1889, 385-396.
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Bibliothek und Informationszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Handschriften und Alte Bücher. (Sig. 05067_286)