Hugo Schuchardt an Lajos Katona (136-05067_284)

von Hugo Schuchardt

an Lajos Katona

Graz

01. 11. 1889

language Deutsch

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Lajos Katona (136-05067_284). Graz, 01. 11. 1889. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10323, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10323.


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Graz 1 Nov. 89

Lieber Freund

Von den beiden Hauptgegenständen Ihres letzten Briefes bespreche ich nur den einen; nicht dass der andere mit ihm nicht in Zusammenhang stünde – im Gegenteil, aber dieser Zusammenhang ist ein feindlicher. Ich meine nämlich dass Ihr periodisches Unternehmen Ihren akademischen Plänen eher hinderlich als förderlich ist. Sie können alle die Pferde die Sie eingespannt haben – und die |2| Beipferde die Sie Anderen verdanken – nicht regieren ohne sich dabei aufzureiben. Ich ermahne Sie dringend an Ihre Gesundheit zu denken.

Dass Sie bei Ihrer Uebersiedelung nach Budapest an Ihre Habilitation denken würden, nahm ich als selbstverständlich an. In Hinblick auf diese zu erwartende Eventualität hatte ich Sie schon vor einiger Zeit darauf hingewiesen wie wünschenswerth es wäre wenn Sie sich der wissenschaftlichen Welt mit irgend einer nicht allzu umfangreichen aber abgerundeten Arbeit, etwa einem Compendium des Folk- |3| lore vorstellten. Wir sind einmal so, ein Büchlein von 20 Seiten macht mehr Eindruck als ein doppelt so großer Artikel in einer Zeitschrift.

Nun schreiben Sie mir von dem was man in Budapest plant. Wie die Sache verlaufen wird, darüber kann ich mir nicht einmal eine Vermuthung bilden. Wenn irgend eine Analogie mit Cisleithanien zulässig ist so wird man sich drüben mit der definitiven Besetzung der systemisirten Stelle nicht beeilen und auch einen Nichthabilitirten – er müsste denn eine |4| längere Lehre und litterarische Thätigkeit hinter sich haben (vgl. Elze’s Berufung nach Halle,1 Tomaschek’s2 nach Graz) – nicht zum Professor, geschweige denn zum Ordinarius machen. Aber wenn unsere Monarchie das Land des Unerwarteten ist, so vollzieht sich in ihren beiden Hälften das Unerwartete wieder auf ganz verschiedene Weise. Also ich wünsche Alles und denke mir gar Nichts. Heinrich’s3 Gegnerschaft ist ein sehr unangenehmer wichtiger Faktor für Sie. Was kann und will Thewrewk? Was mich anlangt so hat mir schon vor langer Zeit einmal ein |5| ein ganz schwacher (nicht autorisirter) Sirenenruf nach Budapest in das Ohr geklungen. Nun wenn ich bei voller Gesundheit und in jungen Jahren wäre, würde mich eine solche Verpflanzung nicht erschreckt haben und ich hätte wohl auch gelernt die „Lautgesetze“ auf magyarisch vor[zu]tragen (schwerlich übrigens über Boccaccio und Molière). Aber wie die Sache[n] stehen wissen Sie ja; ich bin froh wenn ich das Leben habe und „a Ruh“ und an Sommernachmittagen einen Tarok auf dem Ruckerlberg.

Vor Kurzem schrieb zudem stud. jur. Hampel |6| Antal,4 „collaborateur des Egyetemi Lapok5 Correspondant de la Academia“ [Ztschr] de Barcelona, et de la Campana degli Studenti de Turin6“ (Stáció-utca 12) um Wegweisung in der romanischen Philologie für die er sich sehr interessirt und in der er auch einen guten praktischen Grund durch Erwerbung von Sprachen gelegt zu haben scheint. Auf seinen ersten magyarisch geschriebenen Brief habe ich sofort geantwortet, und ihm am Schlusse auch empfohlen Ihre Bekanntschaft zu suchen, aller- |7| dings ohne irgend eine hähere Charakteristik von Ihnen zu geben – was nun Sie mit dem Umfang des Gegenstandes entschuldigen mögen. Seinen zweiten deutsch geschriebenen Brief [ich glaube Ihre Landsleute examiniren mich immer zuerst, wie weit ich magyarisch verstehe; ich habe schon mehrere magy. Briefe von dortigen Romanistikanten erhalten.] werde ich noch heute beantworten. |8| Schreiben Sie mir über diese akademische Angelegenheit baldigst wieder; leider kann ich mich hier nur ganz receptiv verhalten, aus den oben berührten Ursachen nicht einmal als Rathgeber auftreten, d. h. Ihnen gegenüber – von anderer, massgebender Seite wird man meinen Rath kaum verlangen.

Kommt im nächsten Nyelvör-Heft das letzte Stück meines romano-magy. Bandwurms? Szarvas hat mir doch hoffentlich meine Ablehnung seines Vorschlags (Verlesung in der Akademie) nicht übelgenommen?

In grosser Eile
Herzlichst grüssend
Ihr
HS.

Bitte schreiben Sie mir doch Folgendes:

1) Ist das Tájszótár7 antiquarisch leicht zu haben?

2) Wie soll ich übersetzen (ebenda unter csaníga) lödöri, szigoru, csjata-bajta ember?

3) Hat csorba (womit mundartl. csempe oft erklärt wird, nicht bloss den Sinn von ,schartig‘ (Ball.),sondern auch heute noch den von „verstümmelt“ (Nyelvtört. Sz.)?


1 Friedrich Karl Elze (1821-1889), von Hause aus Altphilologe, bereits als Gymnasiallehrer Mitglied der Royal Society of Literature, 1864 Gründungsmitglied der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, 1875 erster ao. Prof, 1876 o. Prof. für englische Sprache und Literatur in Halle (ohne Habilitation); vgl. auch HSA 02728-02738.

2 Karl Tomaschek (1828-1878), österr. Germanist, 1862 aufgrund seiner Publikationen zum Ordinarius in Graz berufen.

3 Gustav Heinrich (1845-1922), österr.-ungar. Literarhistoriker; vgl. HSA 04534-04550.

4 Antal Hampel (1870-?), ungar. Jurist. und Öffentlichrechtler; vgl. HSA 04356-04357.

5 „Universitätsblätter“.

6 Wohl eher „di Torino“; Torino: Tip. Festa e Tarizzo. Sospesa dal 1886 al 1887; dal 1888 riprende la numeraz. con A. 1.

7 Hrsg. József Szinnyei, Budapest 1893-1896; 1568 S.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Bibliothek und Informationszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Handschriften und Alte Bücher. (Sig. 05067_284)